auf reisen

18
Jul
2008

In die Westtürkei

Nach fünf Tagen in Istanbul war es Zeit aufzubrechen: Wir wollten in die Westtürkei und hatten auch eine Route ausgeklügelt. So hellgrün sah sie aus:


turkey_map2


Jaja, ich weiss! Das ist ein richtiger Tourist Trail! Aber Ihr werdet staunen. Wir haben viel erlebt!

16
Jul
2008

Kurdischer Teppichverkäufer

Herr T. steht an der Strassenkreuzung und dreht den Stadtplan von Istanbul in der Hand herum. Wir stehen irgendwo zwischen dem grossen Markt (Kapalı Çarşı) und der blauen Moschee. Mitten im Touristenland. Und doch sind wir schon seit mindestens zwei Minuten von keinem Lederwarenhändler und keinem Wirt, von keinem Teppichhändler, keinem Kioskhalter und keinem Silberschmied mehr angemacht worden. Ich prüfe vorsichtig meine Kleidung. Vielleicht stimmt etwas nicht mit uns. Da fragt jemand*: "Haben Sie sich sich verirrt?"* Ein grossgewachsener Türke in Jeans und T-Shirt steht da.
Frau F., (abwehrend): "Oh nein, nein!"
Der Türke (grinst): "Sie Sie auch ganz sicher, dass Sie sich nicht ein ganz klein wenig verirrt haben?"
Frau F: "Ja, ganz sicher." (Deutet auf Herrn T.) "Er weiss, wo's langgeht."
Herr T. nickt.
Der Türke: "Woher kommen Sie?"
Frau F.: "Aus der Schweiz."
Der Türke: "Oh, aus der Schweiz kenne ich jemanden. Jean Ziegler. Kennen Sie ihn auch?"
Frau F. (freut sich): "Oh ja, den kenne ich." (Und in einem leicht ironischen Tonfall): "Haben Sie mit ihm gesprochen?"
Der Türke (grinst): "Ja, er ist mein Freund. Er besucht mich manchmal. Aber Schweizer halten ihn für einen Spinner, oder?"
Frau F.: "Ja, das stimmt. Aber ich nicht. Ich finde, viele Schweizer haben keine Ahnung, was in der Welt so vor sich geht. Es ist gut, wenn jemand es ab und zu sagt."
Herr T. bringt das Gespräch auf Fussball. Es ist zwei Tage nach dem Spiel der Spiele.
Der Türke: "Ach, wissen Sie... Ich schaue mir keine Fussballspiele an. Ich bin auch nicht für die Türken.Ich bin nämlich Kurde. Ausserdem finde ich das einfach wahnsinnig. Fath Terim verdient 15 Mal mehr als unser Staatspräsident. Finden Sie nicht auch, dass das nicht normal ist?"
Herr T. und Frau F. nicken.
Der Kurde: "Wissen Sie, in diesem Land ist sowieso vieles nicht normal. Vorneherum sieht ja alles nett aus. Aber wenn man hier lebt... ach, übrigens, wollen Sie nicht auf eine Tasse Tee zu mir kommen? Ich habe einen hübschen, kleinen Teppichladen gleich dort drüben."
Frau F. lacht: "Das habe ich mir doch gedacht! Ich habe mich schon gefragt, wo Ihr Laden wohl ist. Nein, tut uns Leid, wir brauchen keinen Teppich."
Der Kurde insistiert. Herr T. wird unsicher.
Frau F.: "Oh, nein, vielen Dank. Aber wir können leider wirklich keinen Teppich gebrauchen. Wir reisen morgen weiter nach Çanakkale."
Der Kurde: "Oh wirklich! Was wollen Sie denn in Çanakkale? Etwa Troja besuchen?"
Herr T. und Frau F. nicken.
Der Kurde: "Oh, in Troja können Sie etwas lernen! Da können Sie lernen, wie hier im Osten betrogen wird. Ich meine, die Sache mit dem Pferd..."
Frau F.: Aber das Pferd haben doch die Griechen gebaut, und die kamen aus dem Westen!
Der Kurde: "Ja, aber die waren zehn Jahre hier in der Gegend gewesen. Die hatten etwas gelernt! Jetzt kommen Sie aber in meinen Laden! Sie müssen ja nichts kaufen!"
Frau F. (augenzwinkernd): "Eben haben Sie doch gesagt, hier wird man ständig betrogen! Nein, nein, es tut mir leid, wir müssen weiter."

Wir verabschieden uns freundlich und gehen. Ich habe mich später mehr als einmal gefragt, ob wir nicht doch hätten mitgehen sollen. Es war eines der spannendsten Gespräche, die ich in der Türkei geführt habe. Vielleicht hätten wir tatsächlich keinen Teppich kaufen müssen.

* Die Konversation spielte sich in ausgesprochen flüssigem Englisch ab.

9
Jul
2008

Kopftuch 2

Nach frogg'scher Schätzung geht ein Drittel der Frauen in der Westtürkei im Kopftuch. Ich habe sie angesehen, diese Frauen, und mir Fragen gestellt: Was denken sie? Wo gehen sie hin? Wie halten sie in ihren langen Mänteln die Hitze aus? Was ist das für ein Strumpf, den viele unter dem Kopftuch tragen und der ihr Haar verdeckt? Wann und wo ziehen diese Frauen ihre Rüstung aus? Ich wünschte mir, türkisch zu können. Ich wünschte mir, sie ausfragen zu dürfen. Bestimmt habe ich sie manchmal angestarrt.

Ich begann, sie in Kategorien einzuteilen:

Die Kleinbürgerinnen: Frauen mit viel Arbeit und Kindern, aber ohne Allüren. Und doch vergessen sie nicht, sich ein bisschen nett anzuziehen. Ihre Kleidung, meist unprätenziös im Schnitt, ist stets in gut assortierten Farben gehalten: zum grünen, langen Mantel tragen sie ein grünrosa gemustertes Kopftuch (oder das alles in Blau, Beige oder Pink).

Die Wohlanständigen: Die meisten von ihnen sind jung, schmal wie Frühlinszweige und verbringen am Morgen Zeit mit Schminken. Ihre Mäntel sind adrett, oder gar elegant: silberweiss oder schwarz, ihre Kopftücher schwarz, grau oder weiss mit Pastellmustern. Sie halten sich stets kerzengerade. In der Gegenwart von Touristen bekommen sie manchmal einen überlegenen Gesichtsausdruck. Sie wirken irgendwie militant und passen optisch gut zu den vielen neuen Moscheen in Edremit mit ihren silbern schimmernden Minarettspitzen (die wir in einem Anflug schwarzen Humors Qassam-Raketen nannten. Weil sie über der Westküste sassen wie islamische Abwehrgeschütze). Doch es ist nicht alles wie es scheint: Einmal, in Pamukkale, sahen wir an einem Sonntagabend in in der Lobby unseres Familienmotels eine junge Wohlanständige, 17 vielleicht, eine der zahlreichen Verwandten unseres Wirtes: Sie sass am Computer und hörte mit einer Freundin ohne Kopftuch englischen Grufty-Rock. Die einzige englische Rockmusik, die ich drei Wochen Türkei gehört habe.

Die Entehrten: Frauen, die irgendeiner erniedrigenden Arbeit nachgingen, meist Toilettenfrauen. Das Kopftuch gab ihnen ihre Würde zurück.

Die schwarzen Mareien: Meist ältere Frauen in schwarzen Tüchern, die alles verhüllten ausser der Nasenspitze, dem Kinn und den Fäusten. Sie sahen aus, als kämen sie aus einer anderen Zeit. Sie sahen arm und wütend aus.

Die Landfrauen: Frauen, die das Kopftuch als Arbeitskleidung trugen. So selbstverständlich wie Generationen von Frauen vor ihnen. Unsere Wirtin in Pamukkale war so eine Frau. Eine Frau, wie man sie im Westen selten sieht. Eine Frau, die so aussah, als sei sie genau dort, wo sie hingehöre und glücklich darüber. Eine Frau ohne Ängste, so schien es. Die Sonne in ihrem komplexen Familiensystem. Von den wenigen Türkinnen, mit denen wir sprechen konnten, konnte sie am besten Englisch.

Die Individualistinnen: Sie trugen ihre bunten Kopftücher mit kurzen oder halblangen Jacken. Mit langen, neonfarbigen Röcken und Jeans. Ihre Kleidung war eine kreative Mischung aus Ost und West. Die Freaks unter den Musliminnen.

Ja, und dann sah ich Tausende von Frauen, die sich in ihrem Aussehen kaum von Westlerinnen unterscheiden. Und am Busbahnhof von Aydın habe ich eine junge Türkin in einem eng anliegenden T-Shirt gesehen, auf dessen Brust breit stand: "You will beg for it". Ich kenne keine einzige Westlerin, die so etwas tun würde. Sie stand - natürlich - nicht weit von einer Wohlanständigen.

8
Jul
2008

Kopftuch

"Zuerst lehnte ich das Kopftuch ab. Doch dann begann ich es zu tragen und ich merkte: Ich kam mit Kopftuch einfach besser zurecht. Man betrachtete mich als denkende Person. Und ich wurde nicht mehr dauernd angemacht. Das Kopftuch gab mir Würde und Raum zu sein, wer ich war." Das pflegte meine Freundin Mascha zu sagen. Sie war aus einer gut katholischen Familie und, weiss Gott, eine Hardcore-Feministin. Mit 18 aber verbrachte sie ein Jahr in einer muslimischen Familie in Kenia, wo sie das Kopftuch schätzen lernte. Zu Hause trug sie es dann nicht mehr. Nein. Später ging sie sogar eine Weile kahlgeschoren.

Das ist lange her. Aber es hat meine Haltung zum Kopftuch geprägt. Jedenfalls lehne ich es nicht rundweg ab, schreie nicht nach einem Kopftuchverbot. Bin mir nicht sicher, ob das Kopftuch wirklich ein Symbol für die Unterwerfung der Frau ist.

Zumal ich festgestellt habe, dass es selbst in kleineren Städten im Westen Musliminnen gibt, die ihr Kopftuch und das dazugehörige Mäntelchen durchaus mit Modebewusstsein, ja mit einem gewissen urbanen chic tragen. Das sind keine gehorsamen Arbeitstiere, die sich nach getaner Arbeit pflichtschuldigst unter ihren Ehemann legen.

Wie komplex die Frage ist, zeigt die Situation in der Türkei. Dort ist der Kopftuchstreit Symptom eines Problems, das sich bald zur Staatskrise ausweiten könnte.

Kurz bevor wir hinreisten, flammte er erneut auf.

Das Kopftucherbot an den türkische Unis sei in den 80-er Jahren unter der Militärregierung eingeführt worden, las ich in einer Agenturmeldung. Um die Islamisierung der Gesellschaft zu verhindern, hiess es. Um sicher zu stellen, dass die Türkei ein säkulärer, nach Westen orientierter und damit freiheitlicher Staat bleibe. Nur: Regierende Generäle gelten in der Regel nicht gerade als Hüter der Freiheit und der Rechte von Frauen. Und: Ist es nicht paradox, ausgerechnet jenen Frauen Kleiderverbote aufzuerlegen, die an der Uni zu selbständig denkenden Menschen werden sollen?

"Weisst Du, es gibt viele Gründe, das Kopftuch zu tragen", sagte unser Freund, der Istanbuliker. "Manche jungen Mädchen tragen es nur, weil sie das säkuläre Mami ärgern wollen."

Also: Was tut Frau, wenn sie aufgefordert wird, sich ein Kopftuch umzulegen, bevor sie die blaue Moschee betritt?

Ich jedenfalls legte es um und behielt es auch unter der grossen Kuppel um, als die Türhüter nicht mehr hinschauten. Warum? Vielleicht aus Solidarität mit all jenen Frauen, die das Kopftuch tragen, weil sie auf Identitätssuche sind. Vielleicht aus Respekt einer fremden Religion gegenüber.

Ich war die einzige westliche Touristin, die es so hielt. Die anderen nahmen in der Moschee ihre Tüchlein wieder ab und grinsten kokett ihre Männer oder Freundinnen an, bevor sie ihren Blick bewundernd über die blauen Kacheln schweifen liessen.

Sie waren frei. Sie hatten diesen Mullah-Türhütern ein Schnippchen geschlagen!

6
Jul
2008

In Istanbul

Wir können uns glücklich schätzen: Noch vor unserer Abreise hatten wir einen echten Istanbuliker kennengelernt. Einen Mann aus unserem Städtchen, der in die Schönheit der Grossstadt am Bosporus vernarrt ist. Der mindestens einmal im Jahr dorthin fliegt und sogar jahrelang türkisch gelernt hat. Er vermittelte uns einen guten Kontakt*. So kam es, dass wir schon am Flughafen abgeholt wurden. Ein netter, wenn auch unserer mangelhaften Sprachkenntnisse wegen zwangsläufig stiller Türke fuhr uns zu einem Haus beim Galataturm. Dort bekamen wir erst einmal ein Tässchen Tee serviert bekamen.


(Quelle: www.antalya.de)

Dann chauffierte er uns weiter zu unserer Wohnung. Fuhr das steilste Strässchen hinunter, das ich je gesehen habe. Stoppte und führte uns mit Sack und Pack hinein in ein unscheinbares Wohnhaus aus den sechziger Jahren. Vier Stockwerke hoch. In einem Treppenhaus, das leise nach Katzenpisse roch und hinter einer zugemauerten Tür die Ruinen eines Lifts ahnen liess (Man hatte uns ja gewarnt: Treppenhäuser in Istanbul seien nicht das, was Europäer so erwarteten).

Und dann öffnete er die Tür zu "unserer" Wohnung. Die Frogg trat ein, schaute, blieb mit offenem Mund stehen und vergass beinahe, Herrn T. auch herein zu lassen. Der stille Türke grinste. Vor uns lag eine riesige Fensterfront, die direkt auf den Bosporus ging. Das was unsere Aussicht (von rechts nach links):

moscheen
Hinüber zum Topkapı-Palast , zur blauen Moschee und der Hagia Sophia.

frachter
Hinüber nach Kadiköy und Üsküdar, hinüber nach Asien.

brueckebeitag
Hinüber zur Boğaziçi-Brücke, die Europa und Asien verbindet...

brueckebeinacht
... und hinüber zur selben Brücke bei Nacht.

Ja, so blau ist der Bosporus. Eigentlich hatte ich ihn mir anders vorgestellt. Weniger frisch und fröhlich. Aber hier war er, der Bosporus, so blau wie der Luganersee, und wir konnten kaum den Blick von ihm wenden. Tag und Nacht dröhnten die Schiffe an uns vorbei, hinauf zum Schwarzen Meer oder herunter von ebendort. Direkt unter uns lag der Fährhafen Kabataş. Manchmal überholten die eiligen Schiffe aus Üsküdar einander, bevor sie dort anlegten. Morgens und abends waren sie gestossen voll mit Pendlern.

Und wahrlich: Wir schätzten uns glücklich, auf einem Sofa liegen und der ganzen Geschäftigkeit zuschauen zu dürfen.

* Ernsthaften Istanbul-Interessenten vermittle ich den Kontakt gerne weiter. Ob wir dabei auch Istanbuliker geworden sind, weiss ich noch nicht. Es wird sich wohl erst noch zeigen.

2
Jul
2008

Pfeffer-Schock

Schon im Flugzeug nach Istanbul erlitt die Frogg einen leichten Kulturschock. Wegen dieses kleinen Päckchens auf unserem Lunchtablett:

biber

Kenner der Frogg'schen Auseinandersetzung mit der Peperoni-Frage werden leicht verstehen, weshalb. Hatte die Frogg doch vor den Ferien fleissig ein paar Worte türkisch gelernt und brav memoriert: "Biber" heisst "Peperoni" oder "Paprikaschote" (etwa in "biber dolması", gefüllte Peperoni). Wenn "biber" aber irgendetwas mit Paprika heisst, so eines der unerschütterlichen Frogg'schen Glaubenssätze, dann kann "biber" unmöglich auch "Pfeffer" heissen.

Und doch war in dem Päckchen Pfeffer.

Wie also heisst dann Paprika?

Die Frage drehte irgendwo im Frogg'schen Hinterkopf ihre Runden. Derweil besichtigten wir auch Gewürzmärkte. In Istanbul. In Bodrum.

gewuerze

Und hier fand ich eines Tages die Antwort: In einem Kistchen lag ein rotes, grob gemahlenes Pulver, auf dem Schildchen dazu stand kırmızı biber: Roter... ja, was jetzt? Pfeffer oder Paprika?

Mein Sprachführer schaffte Klarheit: kırmızı biberheisst "Paprika (Gewürz)".

Ich musste eines meiner Dogmen revidieren und feststellen: Die Welt ist eben doch komplizierter als ich gedacht habe. Oder einfacher?

30
Jun
2008

Fussball in Istanbul

Seit gestern sind wir aus der Türkei zurück. Seit gestern ist die Fussball-EM zu Ende. Eigentlich ist es zu spät, die Erinnerung an unser persönliches Spiel der Spiele Revue passieren zu lassen: Schweiz - Türkei am 11. Juni. Ich werde es dennoch tun. Einfach, weil es so schön war: Wir sahen den Match in einer Seitengasse der Istiklal Caddesi, der Vergnügungsmeile von Istanbul. In einem kleinen Restaurant mit weissen Tischtüchern, warmem Licht und offenen Türen.

Neben dem Fernseher hing dieses Bild:

atatuerk

Es zeigt Mustafa Kemal Atatürk. Den Vater aller Türken. Den Mann, der nach dem Ersten Weltkrieg aus den Trümmern des Osmanischen Reiches die moderne Türkei schuf. Er starb 1938. Sein Bild sieht man in der Türkei heute noch täglich irgendwo. In unserem Restaurant wachte er über das Spiel und ich ahnte: Die Türken würden gewinnen. Denn wer wird nicht gewinnen, wenn dieser Blick über ihn wacht? Diese väterliche Wärme. Diese Ahnung von Grausamkeit. Das Wissen: Dieser Mann kann töten. Und die Ungewissheit: Aus welchem Anlass würde er es tun?

Hätte doch Fatih Terim gewusst, dass der Vater aller Türken persönlich über das Spiel wachte! Er hätte mit seinen Affentänzen gar nicht erst begonnen.

Das Restaurant wurde voll und voller. Den vordersten Zehnertisch füllte allein ein zahnloser, liebenswürdiger, aber nicht ganz zurechnungsfähiger Türke. Er gehörte wohl zur Familie. Jedenfalls behandelten ihn die zahlreichen Kellner mit freundlicher Nachsicht. Auch wenn er sich in Glücksmomenten den französischen Touristinnen am Nachbartisch allzu freudig an die Oberweite hängte. In der zweiten Reihe sass eine türkische Grossfamilie. Die weiteren Reihen füllten Touristenaus den USA, die selbstverständlich für die Türken waren. Wir, an einem Seitentisch, waren die einzigen Schweizer. Unser Jubel über das Goal von Hakan Yakin ging im Zorngeschrei der Türken unter.

Nun suchten die Türken den Ausgleich, und die Spannung steigerte den Appetit der Gäste ins Unermessliche. Auf silbernen Tabletten trugen die Kellner Berge von frittierten Sardellen und Calamares, Salat und volle Brotkörbe vorbei. Und dazu Getränke. Und später Teller voller Wassermelonenschnitze, Aprikosen und Kirschen.

Das Wetter trug viel zum allgemeinen Wohlgefühl bei: Derweil die Fussballkämpfer in der Schweiz durch knöcheltiefe Regenpfützen schlitterten, sass man in Istanbul im T-Shirt vorm Fernseher - trotz fortgeschrittener Stunde ohne Jäckchen. Als Semih in der 57. Minute das erste türkische Tor schoss, wurde aus dem Fussballfest vollends ein grosses Fressen.

Derweil erob sich draussen ein dumpfes Dröhnen. Rundum gab es Bars, die ihren letzten Stuhl vor den Fernseher im Freien gestellt hatten. Und die Zuschauer da draussen schienen alle Pauken mitgenommen zu haben. Es war ein gewaltiger Lärm. Die Istiklal Caddesi brodelte... ach was, brodeln tut sie jede Nacht, sie kochte über, sie zischte und dampfte wie ein Wasserfall auf einer gigantischen, hiessen Herdplatte. Die Spannung stieg ins Unermessliche.

Für uns wäre ein Unentschieden schon ok gewesen.

Doch dann, ganz am Schluss, fiel das Siegestor der Türken.

Der Zahnlose fiel den Französinnen um den Hals. Alle Türken sprangen auf und jubelten. Die Touristen sprangen auf und jubelten. Wir standen auf und taten irgendetwas. Draussen legte das Getöse an Dezibel zu. Dann kamen zwei Musiker herein und begann den allgemeinen Lärm mit traditioneller türkischer Volksmusik zu übertönen.

Mir wurde es zu laut. Wir gingen. Draussen zogen Scharen feiernder Türken mit Fahnen durch die Gassen.

Herr T. und ich machten uns auf den Weg in unsere Wohnung. "Eigentlich", sage ich zu Herrn T., als wir die erste ruhige Strasse fanden, "Eigentlich ist das für uns eine Win-Win-Situation. Die Türken hätten uns doch verhauen, wenn die Schweizer gewonnen hätten!" Solches Zeug behauptet die Frogg. Obwohl sie überhaupt kein Gesicht macht, als hätte sie eben sowieso gewonnen. Nein. Sie ist enttäuscht und fühlt sich einsam.

Erst später sollte sie feststellen, dass die Stärke der Türken erhebliche Vorteile hatte: So hielt das Fussballfieber in der Türkei noch zwei Wochen an. Es sorgte stets für guten Gesprächsstoff mit Reisebekanntschaften. Und für mächtige Spektakel: leintuchgrosse Türkenflaggen an den unglaublichsten Orten und Feuerwerke bei ersten Goal gegen die Deutschen.

Erst danach wurde es ruhiger.

22
Mai
2008

Glücksmoment

Habt Ihr das auch schone erlebt? Dass Euch für ein paar Stunden genau die richtigen Freunde zufallen? Genau im richtigen Moment? Genau diejenigen, auf die Ihr gewartet habt, ohne es zu wissen?

Es ist mir gestern passiert. Das war ein starker Zauber, ein grosses leuchtendes Glück.

17
Mai
2008

Warum die Türkei?

Wie wählt man ein Reiseziel aus? Auf Grund von Hochglanzbroschüren? Von Reiseberichten in der Zeitung? Bei der Fröschin ist es keins von beidem. Denn beides liest sie nicht. Nein. Die Fröschin ist eine Träumerin. Sie folgt am liebsten irgendwelchen Fingerzeigen aus dem Wolkenkuckucksheim hinter ihrer Stirn. Biedere Hochglanz-Bilder würden sie dabei nur stören. Dass die Touristiker den Begriff "Destination" kennen und eine bestimmte "Destination" bis aufs Blut vermarkten, ist ihr in der Freizeit völlig egal.

Sie setzt lieber auf Eingebungen. Als ich jung war hatte ich zum Beispiel diese merkwürdige Vorliebe für bizarre Küstenformen. So sass ich eines Augusttages anno 1989 in Ballina, Irland, und brütete über einer Karte der Gegend. Nicht allzu weit von Ballina sah ich Blacksod (um zu verstehen, was mich dorthin zog, muss man den Link hier anklicken und dann die Karte zoomen - und zwar auf der Halbinsel links von Ballina). Ich zeigte mit dem Finger auf Blacksod und sagte zu meinem damaligen Reisegefährten Konrad: "Dort will ich hin!" Konrad verdrehte die Augen, denn selbst von Ballina war Blacksod eine halbe Tagreise entfernt. Aber wir fuhren hin.

Es sah dort so aus:
blacksod

Und es war wunderbar. Warum, werde ich Euch ein andermal erzählen. Denn hier geht es ja um ums Wolkenkuckucksheim im Kopf. Also. Meine Vorliebe für bizarre Küstenformen habe ich jedenfalls behalten. Doch in den nächsten Jahren waren es immer öfter Bücher, die mich zu einer Reise bewegten. Oder merkwürdige Begebenheiten. Zum Beispiel las ich den Roman Middlesex von Geoffrey Eugenides. Teile davon spielen in der Türkei, in Izmir (damals Smyrna, was für ein poetischer Name!) Es war kein konfliktfreies Izmir, das mir da geschildert wurde. Aber es war eine Stadt mit einer mythischen Geschichte. Und dazu noch die Stadt, aus der einst die gedörrten Feigen kamen, eine Köstlichkeit meiner Kindheit. "Ich möchte nach Izmir", sagte ich zu Herrn T.

Doch Herr T. war not amused. "In die Türkei reist man nicht. Die Türkei hat ein Kurdenproblem und Probleme mit dem Recht auf freie Meinungsäusserung", sagte er. Ausserdem hat er vor zwanzig Jahren in Istanbul schlechte Erfahrungen mit einem Teppichverkäufer gemacht. Ich schlug mir also die Sache aus dem Kopf. Bis ich eines Tages im Türkenladen einkaufen ging. Es war kurz nach unseren Ferien in Griechenland im Sommer 2007. Ich kaufte Fetakäse. "Fetakäse, das ist nichts", sagte der Türke an der Kasse. "In der Türkei wir haben auch Ziegenkäse. Fast gleich wie in Griechenland. Aber wenn Du ein Stück gegessen, Du legst ihn zurück in seinen Saft und er bleibt frisch." Dann liess er noch durchblicken, dass die Griechen ja überhaupt nicht kochen könnten.

Da kaufte ich zwar keinen türkischen Ziegenkäse. Aber ich betrachtete diese kleine Geschichte als Fingerzeig, ging nach Hause zu Herrn T. und sagte: "Nächstes Jahr reisen wir in die Türkei." Herr T. hatte keine Wahl mehr: Im Juni fliegen wir nach Istanbul. Später soll es auch nach Izmir gehen.

Natürlich interessieren mich dort auch die geografischen Besonderheiten (Ich sage nur: Bosporus).

Dass Istanbul offenbar eine Top 20-Destination ist, habe ich eben erst festgestellt, eher zufällig. Es berührt ein wenig seltsam.

12
Apr
2008

Schicksalshafte Begegnung

Neulich wollte ich gediegen shoppen und fuhr deshalb nach Bern. Klar, in Zürich hätte ich auch gekonnt. Aber ich wählte Bern, weil eine innere Stimme zur Frogg sagte: "In Bern wirst Du jemanden treffen, der Dir etwas bedeutet." Das ist nicht abwegig, ich habe früher in Bern gewohnt. Und dennoch staunte ich selber, mit welcher Gewissheit ich mich genau aus diesem Grund für Bern entschied. Ich pfeife nämlich sonst auf Vorahnungen und derlei esoterisches Zeug.

Item. Ich fuhr nach Bern und shoppte und traf niemanden.

Dann suchte ich meine Lieblingsbar auf. Sie war aber so voll, so dass ich ins Kornhauscafé wechselte. Dort bestellte ich Tee und las ein bisschen. Ich trank Tee und und las noch ein bisschen. Dann zahlte ich und las noch ein bisschen. Dann stand ich auf und zog meinen Mantel an. Zwei Männer mit zwei kleinen Kindern kamen herein. Der eine fragte, ob er einen Stuhl von meinem Tisch haben könne. Ich sagte: "Ja, klar" und zog meinen Schal an und plötzlich stand der andere vor mir und sagte: "Moni! Du bist doch Moni!"

Es war Zeno.

Zeno, mit dem ich in Bern ein paar Jahre lang eine Wohnung geteilt hatte. Mit dem ich halbe Nächte durchdiskutiert hatte. Zeno, der mich gelehrt hat, wie man Meinungsverschiedenheiten ohne persönliche Ressentiments austrägt. Zeno, in den die Frogg sogar ein bisschen verliebt war (wobei mir lieber ist, wenn er es nicht weiss). Zeno, der später irgendein prestigeträchtiges Nachdiplomstudium in Wien in Angriff nahm und dann in den luftigen Höhen der Berner Beamtenhierarchie verschwand.

Es war, als hätte das Schicksal Frau Frogg ins Kornhaus-Café getrieben, auf dass sie dort Zeno treffe.

Wir redeten nur kurz, denn Zeno war im Stress. Die Kinder waren nämlich seine, und er war ja mit seinem Kollegen dort. Aber es gelang uns doch noch, uns kurz in eine Meinungsverschiedenheit zu verheddern. Sie wurde weniger verständnisvoll ausgetragen als anno dazumal. Herr Zeno hat gelernt, bundesbernische Beamtengeringschätzung zu markieren.

Überhaupt: Als die Frogg später über das Treffen nachdachte, war sie unzufrieden. Sie fühlte sich provinziell, kleinbürgerlich und unangenehm an alte Zeiten erinnert. In der Erinnerung sah sie sich als hässliches Entlein. Als eines, das nicht mal zum schönen Schwan wurde, sondern einfach zur lahmen Ente.

Dabei habe ich immer geglaubt, so ein schicksalshaftes Treffen müsse einen glücklich machen. Oder wenigstens etwas Positives bedeuten. Aber an diesem schicksalshaften Treffen kann ich wenig Positives sehen. Also: Was soll ich davon halten?
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