auf reisen

26
Mai
2009

Das Paradies hat einen Namen

Es heisst Çıralı. Aber versucht gar nicht erst, den Namen des Paradieses auszusprechen! Was haben Türken uns ausgelacht, korrigiert oder einfach nicht verstanden, wenn wir "Çıralı" sagten! Dabei haben wir es genau so ausgesprochen, wie es uns der Sprachführer beigebracht hatte, nämlich "Tscherale" oder "Tschöralö". Das "ı" sprachen wir aus als "kurzes, dumpfes 'i', fast wie das 'e' in 'machen'" (so mein Sprachführer). Doch das schien ganz falsch zu sein. Was die Türken so anders machten als wir, wenn sie "Çıralı" sagten? Das hat Frau Frogg aber auch nicht wirklich verstanden, auch wenn sie genau hinhörte. Da Frau Frogg aber einmal Linguistik studiert und sich für Phonetik interessiert hat, ist sie der Sache nachgegangen. Sie hat festgestellt: Das türkische "ı" ist ein sogenannter geschlossener, ungerundeter Hinterzungenvokal, phonetisch geschrieben ein [ɯ]. Aber das bringt Frau Frogg, mittlerweile Hobbylinguistin, ehrlich gesagt, auch nicht weiter. Und im Moment fällt mir herumturnen mit der Zunge im Mund sowieso schwer: Ich war gerade beim Zahnarzt, und er hat mich unebittlich gequält.

Wenden wir uns dem Paradies also zu, ohne es beim Namen zu nennen. Wir erreichten es am Montag, 4. Mai, nachmittags. Es handelt sich um ein Dorf in einer Bucht rund 80 Kilometer südwestlich von Antalya. Die Gegend ist bemerkenswert naturbelassen. Und sie hat durchaus muslimische Züge: Ihre Schönheit wehrt sich gegen eine bildliche Darstellung. Oder lag es nur an meiner mangelnden Könnerschaft als Fotografin? Ich habe getan, was ich konnte. Und doch schien es mir fast unmöglich, die Wirkung des Ortes bildlich festzuhalten. Hier ein paar wenige Impressionen.

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Aber ich konnte das Paradies riechen. Es roch nach Pinienwäldern und Meer, nach Rosen und Jasmin und nach glücklichen Hühnern.
Ich konnte es hören: Im nahen Fluss quakten die Frösche, der Wind raschelte in den Blättern und in unserem Zimmer hörten wir die Brandung auf den Kiesstrand donnern. Und am Abend im Restaurant am Meer konnte es schon mal vorkommen, dass wir unter unserem Tisch ein merkwürdiges Geräusch hörten. "Das klingt wie eine kotzende Katze", sagte Acqua. Und es war eine kotzende Katze. An jedem anderen Ort auf der Welt hätte die Frogg einen Zustand bekommen. Aber nicht hier. Hier hatte sogar eine Katze mit Brechreiz unter meinem Restaurant-Tisch Platz. Easy.

Und wir selber sahen das Paradies natürlich: Den gewaltigen Strand. Die zartgrünen Wiesen dahinter, in denen die Bauernfrauen aus der Nachbarschaft abends wilde Kräuter pflückten. Die riesigen Pinienwälder. Die Rosensträucher in unserem Garten, all die Katzen und Hunde und Frösche.

Ich bin ja sonst eher misstrauisch, wenn ich beim Reisen im Paradies lande. Aber diesmal gab ich mich dem Glück, an einem so schönen Ort zu sein, einfach hin.

23
Mai
2009

Antalya: Frühstück im Regen

Unsere erste Nacht in Antalya verbrachten wir in einem preisgünstigen Stadthotel. Ihr werdet diese Sorte Hotel kennen: In den Zimmern kann man sich gerade so umdrehen, wenn man sich dabei nicht zu breit macht. Im Bad wackelt die Klobrille, der Wasserhahn spinnt und die Druckvorrichtung des Seifenspenders fällt ab, wenn man sie drückt. Und puncto Sauberkeit ist man nicht unglücklich über eine leicht verminderte Sehfähigkeit. Ich hätte in dem Haus meine zwei, drei Nächte verbracht und es dann vergessen. Wenn da nicht der hübsche Garten mit den Orangenbäumen, dem Swimming Pool und der Bar gewesen wäre.

"Hier werden Sie morgen frühstücken", sagte der Mann von der Réception vergnügt, als er uns durch den Garten in unsere Zimmer führte.

Wir genehmigten uns einen Schlummertrunk. Dann legten wir uns ins Bett. Dann begann es draussen zu regnen.

Das Fenster unseres Zimmers war geöffnet. Schliesslich waren wir in der Südtürkei, und es war Anfang Mai. Ich lag in der Dunkelheit und lauschte auf das sachte, helle Rauschen da draussen. Nun ist die Frogg ein Voralpenkind und kennt, weiss Gott, den Regen. Eigentlich gab es für sie keinen Grund, zu horchen und zu staunen. Das war nichts weiter als ein leichter Landregen. Und doch war es ein besonderer Regen. Mein erster Regen in der Türkei. Regen, mit dem ich gar nicht gerechnet hatte. Die Regensaison war doch vorbei! Und warum hätten ausgerechnet wir von den durchschnittlich drei Regentagen, die die Statistik für den Mai in Antalya ausweist, einen bekommen sollen?! Noch dazu in unserer ersten Nacht?! Doch es war Regen. Ein leichter Regen, der ohne giftigen Wind kam und die Luft lau liess.

Gegen Morgen wurde er heftiger. Als wir aufstanden war er zum klebrigen Dauerregen mit eingestreuten heftigen Schauern geworden. Draussen im Garten tropfte alles. Auch die Orangenbäume. Das Frühstücksbuffet stand dennoch am Pool, unter einem Vordach. Die ersten Gäste der Saison hielten schützend die Hand über ihre Brotkörbe, wenn sie sie von Vordach zu Vordach trugen.

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(Bild von Acqua)

Der Barmann freute sich. "Endlich regnet es", sagte er. "Es hat den ganzen Winter nie genug geregnet!"

Als wir ins Zimmer zurückgingen, hatte ich nasse Füsse. Als wir mit dem Taxi zum Otogar von Antalya fuhren, hagelte es sogar kurz.

Dann blieb es zwei Tage wechselhaft.

19
Mai
2009

Rasender Taxifahrer

Ich möchte hier keineswegs behaupten, alle türkischen Chauffeure seien Raser. Im Gegenteil: Ich bin in der Türkei schon Hunderte Kilometer Taxi, Dolmuş und Bus gefahren - über Bergstrecken und im Stadtverkehr, bei Tag und Nacht. Nur wenige Male hatte ich Grund, mir Sorgen zu machen. Aber der Kerl, der uns vom Flughafen Antalya ins Stadtzentrum fuhr, jagte mir Todesangst ein.

Wir hatten einen Fixpreis mit ihm ausgemacht - und er schien die Strecke in der im Preis verrechneten Richtzeit zweimal zurücklegen zu wollen. Er donnerte mit Vollgas bei Rot über Kreuzungen, weil er gar nicht hätte bremsen können. Standen Autos vor ihm, bremste er erst, wenn ich es im Geiste schon knallen hörte. Damit es nicht knallte, wechselte er im letzten Moment die Spur. Dass er dabei ein paar Sicherheitslinien überfuhr? Völlig irrelevant für ihn. Und natürlich hockte er jedem auf die Stossstange, der sich vor ihm auf die Überholspur wagte.

Ich fand ihn eine Zumutung für alle anderen Verkehrsteilnehmer und sah mich sterben, und das in unserer ersten Nacht in Antalya! Und wie es so ist, wenn man seinen Tod unmittelbar vor sich glaubt: Mein Bewusstsein veränderte sich. Nein, es war nicht so, dass mein Leben an meinem geistigen Auge vorbeizog. Ich begann bloss zu denken. Und ich beobachtete mich dabei selber wie in einem glasklaren Spiegel. Ich erinnere mich noch an jeden meiner Gedanken. Ich dachte an Orhan Pamuk, der den Bruch von Verkehrsregeln als nationalistischen Akt beschrieben hat. Für manche sei er Ausdruck für eine "eine antiwestliche 'Verfeinerung", eine Lebensart, die besagte, dass unsere alte Welt noch immer Bestand hatte und sogar ein Nationalismus des: 'Wir sind die, die wir sind.'" Laut dem Nobelpreisträger "steckte auch die Sehnsucht dahinter, sich an unsere eigene praktische Geschicklichkeit gegenüber einem Westen zu erinnern, dessen Überlegenheit in Technologie, Kultur und Organisation im täglichen Leben überall zu spüren war."* Und derweil ich mit diesem vermaledeiten Taxifahrer durch die Nacht von Antalya raste, glaubte ich plötzlich diesen Raser und auch die Raser der Schweiz zu verstehen (auch wenn ich ihr Verhalten in keinster Weise billige). Rasen als Akt der Selbstbehauptung in einer Welt, in der man als minderwertig dazustehen glaubt. Wie einleuchtend!

Doch ich war nicht bereit, für diese Erkenntnis zu sterben! Verstohlen studierte ich das Gesicht unseres Taxifahrers. Erleichtert stellte ich fest, dass er die 30 überschritten haben musste. Er hatte seinen eigenen Fahrstil also bereits um die 10 Jahre überlebt. Da bestanden für uns auch noch Chancen.

Ich erwog, ihm einen Aufpreis anzubieten, damit er langsamer fuhr. Aber meine Begleiterin Acqua fasste später in Worte, was ich zu dieser Idee nicht dachte, sondern nur ahnte: "Damit hättest Du ihn wohl in seinem Stolz verletzt." Und wir beide waren sicher, dass das nicht das gewünschte Ergebnis gebracht hätte.

So blieb mir nichts anderes übrig, als mich zu beruhigen. Wir überlebten denn auch den Höllenritt.

Und unser nächster Taxichauffeur fuhr uns mustergültig durch einen Hagelschauer auf der Schnellstrasse.

*Orhan Pamuk: "Der Blick aus meinem Fenster", Frankfurt am Main, 2008, S. 62.

17
Mai
2009

Adieu Antalya!

ampool Gestern Morgen nach frühstückten wir an diesem Swimming Pool im Garten unseres Hotels. Der Himmel war blau. Die Luft war auch am Schatten so warm wie ich es liebe. Das kühle Lüftchen vom Swimmig Pool her erfrischte angenehm. Endlich, endlich hatte die Sonne der Türkei die letzten Reste helvetischen Winter aus meinen Knochen vertrieben.

10 Tage lang hatte ich nicht an die Schweinegrippe gedacht; nicht an die Finanzkrise, nicht an Peer Steinbrück, nicht an zu hohe Krankenkassenprämien, nicht an die marode Schweizer Armee, die marode Invalidenversicherung und nicht an einen einzigen meiner Kunden und Kontaktpersonen.

Wir sassen am Pool und nahmen zum letzten Mal Gurken und Tomaten zu uns - in einem Land, in dem man gut und gerne dreimal am Tag Tomaten und Gurken isst. Und es irgendwie doch immer wieder geniesst.

Die Türkei ist ein schönes Land. Antalya eine schöne Stadt. Es stimmt: Sie ist eine Destination für alle Pauschaltouristen, die sich Ferien an den Stränden der EU nicht leisten können oder wollen. Aber sie und ihre Umgebung hat auch entdeckungsfreudigen Zeitgenossen ebensoviel zu bieten wie Italien oder Spanien. Plus eine irgendwie westliche und irgendwie doch ungeheuer fremde Kultur.

Wir tranken unseren letzten Schluck Tee. Dann gingen wir packen. Später sass ich wieder am Pool und wartete auf Acqua. Als sie kam, hatte sie gerade irgendwo ein paar Fetzen Nachrichten gesehen. "Weisst Du was?! die Schweinegrippe ist in der Türkei!" rief sie mir zu (auf Türkisch!).

Da waren die Ferien vorbei.

Gestern Abend landete unser Flugzeug in Zürich-Kloten. Auch hier war der Himmel blau. Aber hier hat der Himmel immer einen kühlen, businessmässigen Stich ins Graue. Auch wenn er blau ist. Ganz anders als am Mittelmeer.

Deshalb möchte ich auf meinem Blog gerne noch ein Weilchen in Erinnerungen schwelgen. Ob wieder ein umfassendes Türkei-Epos draus wird, weiss ich noch nicht. Aber wir werden sehen.

3
Mai
2009

Auf Wiedersehen!

So. Heute kurz vor 19 Uhr geht unser Flug. Acqua und ich machen uns auf nach Antalya. Wie immer reise ich mit möglichst wenig Gepäck. Meinem Laptop nehme ich nicht mit. Ob ich überhaupt über die Reise schreibe, werdet Ihr also erst in zwei Wochen erfahren.

Für alle, die unterdessen doch gern etwas von mir lesen möchten hier Frogg's Favourites von meiner letzten Türkei-Reise im Juni 2008:


Fussball in Istanbul

Hochzeit auf Türkisch Çanakkale

Der beste aller Kellner (Kuşadası)

Die Bestien von Pamukkale

Die Stadt der Liebe (Bodrum)

Bevor ich gehe, muss ich noch schnell 134 Sachen erledigen. Deshalb sage ich jetzt nur noch: Güle Güle!

P.S.: Was natürlich falsch ist: "Güle güle!" sagt derjenige der bleibt - nicht derjenige der geht. Aber irgendwie stimmt es trotzdem: Denn mein Blog bleibt hier, und ich freue mich, wenn ihr wiederkommt in zwei Wochen!

2
Mai
2009

Tamiflu-Hysterie

In den letzten Tagen habe ich mir ernsthaft überlegt, ob ich auch in Tamiflu-Hysterie verfallen sollte. Ja. Ihr lacht jetzt. Ach, Frau Frogg, die grün angemalte Angsthäsin, die Hypochonderin, denkt Ihr! Aber ich kann Euch sagen: Ich erinnere mich ungern daran, was die letzte Grippe mit meinem Gehör gemacht hat. Seither falle ich in Alarmbereitschaft, wenn ich das Wort Grippe nur schon höre. Und ich lasse mich Jahr für Jahr impfen.

Ich fürchte Grippen nicht so sehr, weil sie vielleicht töten. Nein. Ich fürchte sie, weil sie taub machen können. Jedenfalls mich.

Also spielte ich mit dem Gedanken, meinem Hausarzt auf die Pelle zu steigen und ihm so ein Tamiflu-Rezept auszureissen. Schliesslich reise ich ja morgen in die Türkei. Und wer weiss, ob unser erster Anlaufsort Çıralı überhaupt einen Arzt hat. Und ob dieser Arzt im Notfall Tamiflu hat. Und ob er Deutsch, Englisch oder Französisch versteht. Kumpel Fröhlich hat mich zwar ausgelacht und mir Anfang Woche einen Link geschickt: Da konnte ich nachschauen, ob das Virus die Türkei schon erreicht hat. Dann hat er gönnerhaft gelacht und gesagt: "Siehst Du?! Ein Fall in Israel. Mehr nicht! Aber ich verstehe Dich: Die Türkei liegt ja so nahe bei Mexiko!" Die Frogg liess ihm das Vergnügen, setzte dann ihr verschmitztes Lächeln auf und sagte weise: "Warts ab, Fröhlich, warts ab!" Inzwischen schickt er mir keine Links mehr. Er hat zu viel zu tun. Schweinegrippe kann eine schon von der Wirtschaftskrise angekränkelte Newsredaktion ganz schön auf Trab halten.

Die Newsredaktionen hierzulande trugen ihr Übriges dazu bei, dass die Frogg an den Rand einer Tamiflu-Hysterie geriet. Ich meine: Da heisst es immer und überall, das Medikament sei nur gegen Rezept zu haben. Und die Ärzte würden nur bei Leuten, die viel reisten, Rezepte ausstellen. Und doch gibt es bereits Lieferengpässe. Die Apotheker scheinen das Zeug zu verkaufen wie warme Weggli. Also: Was ist hier los? Wohnen tatsächlich so viele globale agierende Geschäftsleute in unserem Land? Oder sollten sich vielleicht auch einfache Türkeireisende vorsichtshalber eindecken - weil sie sonst im Notfall zu den Gelackmeierten gehören? Nun ja, kein Apotheker wird es einem Journalisten erzählen. Aber wissen würde ich es trotzdem gern. Es könnte mein Gehör retten.

Aber am Schluss bin ich meinem Hausarzt dann doch nicht auf die Pelle gestiegen. Ihr wisst ja, wie das ist: Man hat immer so viel zu tun vor einer Reise. Und es schien mir dann alles doch ein wenig übertrieben.

14
Apr
2009

Postkarte aus dem Tessin

tessin09 008

Dieses Bild zeigt den Monte San Salvatore am Luganersee am Ostersonntagmorgen (fotografiert vom Monte Brè aus).

Ihr seht also: Das Wetter war nicht immer blendend. Aber meistens (entgegen anders lautender Prognosen). Und selbst wenn das Wetter einmal nicht mitspielt, ist das Tessin eine Osterreise doch immer wieder wert.

Diesmal:

- Wegen des wunderbar verschrobenen Hotels Brè Paese und des wunderbar schrägen Hoteliers Paul Gmür
- Wegen des Dörfchens Brè Paese - einer Augenweide
- Wegen der grossartigen Gastfreundschaft unserer Freunde in Mendrisio
- Wegen des himmlischen Zickleins, das es in Gandria zu schlemmen gab
- Weil in den Wäldern des Tessins der Kopf frei wird für die Träume, die im Geäst lauern

Wie konnte ich je etwas anderes behaupten!?

9
Apr
2009

Ab in den Süden!

Jedes Jahr an Ostern erlebt man hierzulande dasselbe Phänomen: Die Bewohner der Deutschschweiz brechen in Scharen auf. Sonnenhunger hat sie gepackt. Sie wollen dem lahmarschigen Frühling im Norden ein Schnippchen schlagen, indem sie die Sonne im Süden suchen. Genauer: im Tessin. In unsere landeseigene Sonnenstube. Jedes Jahr dieselben Bilder: Kilometerlange Staus am Gotthard, platschvolle Züge.

Auch Herr T. und ich stürzen uns ins Getümmel. Dabei weiss ich es lägst: Die fürchterlichsten Erkältungen holt man sich an Ostern im Tessin. Denn wer nicht Millionär ist, muss im Tessin über Ostern abseits der Seeufer logieren. Und abseits der Seen gbt es im Tessin nur Berge. Dort brennt einem vielleicht am hohen Mittag schon die Sonne aufs Näschen. Aber das machen die Tessiner Hoteliers mit ihrem mediterranen Misstrauen vor geschlossenen Türen abends und morgens mehr als wett. So schüttelt einen am Morgen Zugluft wach, die wahrscheinlich direkt aus der Arktis kommt. Und richtig geheizt ist auch nirgends. Da kann der Geniesser-Ausflug schnell zur Überlebensübung werden, das weiss die Frogg mittlerweile.

Und dann hat man sowieso keine Gewähr, dass es im Tessin wirklich schönes Wetter ist. Es kann durchaus so sein. Oder so.

Dieses Jahr haben wir uns spät entschlossen und vor einer Woche doch noch ein Zimmer in einem Albergo reserviert. Wir hätten es nicht tun sollen. Der Wetterbericht hat die fieseste Wetterlage für einen Ausflug ins Tessin überhaupt angekündigt: Föhn. Was das bedeutet, muss ich nur Nichtschweizern erklären. Wir lernen es hierzulande in unserer ersten Geografiestunde: Wenn der Föhn bläst, ist das Wetter im Norden schön. Im Tessin aber regnet es.

Dennoch, Freunde: Morgen reisen wir. Ich bin also für ein paar Tage weg.

29
Jan
2009

Besuch im Gefängnis

Wie fragt man im Gefängnis jemanden ob er ein... naja, äh... Insasse... sei? Oder heissen die Betroffenen des offenen Strafvollzuges gar nicht Insassen? Sondern Gefangene? Sträflinge? Häftlinge? Klienten?

Ja. Wie soll ich den älteren Mann vor mir fragen? Ich stehe da, in der Empfangshalle eines mittelgrossen Gefängnisses. Ich warte auf einen Vollzugsbeamten, der mir freundlicherweise erlaubt hatte, ihm ein paar Fragen zu stellen. Er hat sich verspätet. Ich stehe. Die Stühle sind weg, denn der Hallenboden wird gerade gereinigt. Der ältere Mann bearbeitet methodisch die ziegelroten Steinfliesen mit einer Reinigungsmaschine. Ein Putzprofi? Oder ein Gefangener*? Schliesslich stehe ich ihm im Weg. Da kümmert er sich um mich. Er bringt mich in einen Raum mit Stühlen und holt mir einen Kaffee aus dem Automaten. Der Deal ist sofort klar: Er kauft mir Kaffee, ich leihe ihm ein Ohr. Er putze ganz gerne, sagte er. "Mir ist wichtig, dass es sauber ist. Und die Zeit vergeht dabei."

"Sie sind also... ähm... einer von hier?" fragte die Frogg.

"Jaja"; sagt er, "aber wissen Sie: Mich kann man nicht strafen!" Er hätte sogar abhauen können, sagt er. "Ich habe einen Diplomatenpass." Aber eben. Das alles sei ganz in Ordnung. "Ich bin sowieso nur drin, weil Wichtigstadt so korrupt ist. Wichtigstadt ist die korrupteste Stadt der Schweiz! Ja, wussten Sie das nicht?!"

"Ach! So eine schöne Stadt! Korrupt soll die sein?!"

"Und wie!" Es folgen etwas wirre Ausführungen. "Und dann der Neid! Wissen Sie, meine Wohnung in Wichtigstadt war schöner die des schweizeweit bekannten Bankdirektors Z. Das haben mir alle gesagt. Nur wegen des Neids bin ich hier hereingekommen. 2001 bin ich hier hereingekommen, und vor zwei Monaten, unglaublich, zwei Monaten, bekomme ich einen Brief vom Gerichtspräsidenten! Darin schreibt er mir, was ich gemacht hätte, sei legal gewesen! Nach bald zehn Jahren!" Jetzt komme er noch diesen Frühling heraus. "Meine Frau, wissen Sie, die ist Deutsche und hat immer diese Talk Shows gemacht. Meine Frau, die hat sich zuerst furchtbar darüber aufgeregt, dass ich ins Gefängnis musste. Aber jetzt macht es ihr nichts mehr aus. Sie hat's auch begriffen. Alles wegen der Korruption! Alles wegen dem Neid!"

Es folgen weitere Ausführungen. "Und die UBS", prophezeit er, "die wird sich in Luft auflösen. Sie werden sehen! Die Schweiz hat doch kein Geld!"

Natürlich ist er wegen irgendwelcher Vermögensdelikte drin. Er habe eine Firma gehabt, mit der er international Regierungen finanziert habe. "Nur mit Deutschland, da machen wir keine Geschäfte mehr. Da haben doch die Araber das Sagen! Überall!"

Ungefähr an dieser Stelle kommt der Vollzugsbeamte F, mit dem ich verabredet bin. Ich verabschiede mich von dem Gefangenen mit Diplomatenpass. F. bittet heftig um Entschuldigung. "Kein Problem", sage ich, "Ich habe mich angenehm unterhalten!"

"Wirklich?" F. macht ein verdutztes Gesicht.

Ich nicke und schmunzle. Ich habe den Mann mit der Putzmaschine gemocht. Und ich habe während des Gesprächs beschlossen, einen Abschnitt in den zum Glück immer noch unpublizierten Lebensweisheiten der Filomena Frogg dick zu unterstreichen. Den hier: Alle behaupten immer, das wichtigste im Leben sei die Liebe. Das ist gar nicht wahr. Das Wichtigste im Leben der Allermeisten ist ihr Ansehen.

*So heissen sie, habe ich mir später erklären lassen. Oder "Insassen".

27
Jan
2009

Schlittelvergnügen

Winterlandschaften könnten so schön sein - wenn man darin nur nicht ständig Wintersport betreiben müsste.

Dass ich für das Skifahren eine tiefe Hassliebe hege, brauche ich hier nicht noch einmal auszuführen. Diesmal aber entdeckte ich eine noch grössere Zumutung als das Skilaufen: das Schlitteln. Und ich kann nicht einmal Herrn T. die Schuld dafür geben. Die Frogg selber kam eines Tages letzte Woche im tiefsten Schneetreiben auf Melchsee Frutt auf die Idee, mit Herrn T zwei Schlitten zu mieten. Wir wollten uns auf der eigens dafür bezeichneten Piste talwärts Richtung Stöckalp stürzen.

Der Vermieter warnte uns noch: Das Wetter sei nicht ideal. Zu viel Neuschnee. Aber bei der ersten Talreise (über weite Strecken mussten wir den Schlitten in abwärts ziehen) begannen mich Kindheitserinnerungen zu quälen und ich wusste plötzlich wieder: Ideales Schlittelwetter gibt es eigentlich gar nicht. Wenn gerade kein Neuschnee zu anstrengender Beinarbeit zwingt, so sind Schlittelpisten stets schnell vereist. Dann donnert die verängstigte Fahrerin auf einem schier unlenkbaren Gestell zu Tal und sieht in jeder Kurve nichts weiter als noch eine Gelegenheit, sich den Kopf blutig zu schlagen. Meistens aber hat man abwechselnd zu viel Eis und zu viel Neuschnee unter den Kufen, glaubt mir!

Oder unter dem Hinterteil, wenn wir gerade dabei sind. Denn ich muss gestehen: Mein Allerwertester ist fürs Schlitteln ganz und gar nicht gebaut. Als die Natur das frogg'sche Steissbein konstruierte, war sie gerade von einer ihrer Launen gepackt: Das Knöchelchen ist grösser als durchschnittliche Steissbeine und tritt am Rückenende leicht vor - wie der berühmt stumpfe Gegenstand. Im normalen Leben fällt es kaum auf. Doch bei Turnhallen-Grausamkeiten wie Rumpfbeugen und beim Schlitteln wird so ein Rückenende zur mörderischen Waffe.

Dummerweise liess ich mich von Herrn T. zu einer zweiten Talfahrt überreden. Diesmal lief der Schlitten besser. Fast zu gut, eigentlich. Danach blutete ich - wenn auch nicht am Kopf. Ehrlich.

Auch als Kind holte ich mir derlei Wunden. Ich hatte sie jedoch jeweils schnell wieder vergessen. Was hätte ich auch anderes tun sollen? Ändern liess es sich nicht. Und Schlittelausflüge mit der Schule schwänzen konnte ich auch nicht. Doch als Erwachsene muss ich sagen: Gewisse Dinge sollte man nicht einmal Kindern zumuten.

Wenigstens hat mir Herr T. nach meinen heldenhaft ertragenen zwei Abfahrten einen Award verliehen. Sein Name soll unser Geheimnis bleiben. Aber er wird mich stets daran erinnern, dass ich nie mehr schlitteln will!
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