auf reisen

24
Jul
2009

Kroatien trotz allem

Es sieht ganz so aus, als würde ich Euch hier noch ein paar Stories von unserer dreiwöchigen Kroatien-Reise kredenzen. Ich stelle hier deshalb am besten eine Karte mit unserer Reiseroute ein.

kroatienkarte
(mit freundlicher Genehmigung von Herrn T.)

Da, wo die blauen "Töggel" sind, machten wir Station.

Dass mein Liebster Kroatien schon in Venedig beginnen liess, ist nicht vollkommen abwegig. Die Väter der Lagunenstadt pflegten jahrhundertelang intensive Beziehungen mit den Menschen an der adriatischen Ostküste. Will heissen: Sie eroberten ihre Siedlungen und bauten sie mit venezianischen Festungen und Kirchtürmen voll. Das dürfte den dort ansässigen Kroaten wenig Freude bereitet haben. Heute aber sind diese Bauten ein Wirtschaftsfaktor: Sie gefallen den Touristen

Frau Frogg wusste das alles nicht und brachte überhaupt wenig Enthusiasmus für Kroatien auf. Wenn sie "Kroatien" dachte, dann dachte sie an diesen dubiosen, nationalistischen Politiker Franjo Tudjman und manchmal sogar an die Ustascha. Aber Herr T. hatte einen Reisewunsch gut. Denn Frau F. hatte ihn letztes Jahr zu einer Türkei-Reise, naja, wie soll ich sagen... verdonnert. Und nun wollte er nach Kroatien. Wegen der Karstlandschaften. Und weil ihn ein gründliches Studium auf Google Earth davon überzeugt hatte, dass Kroatien überaus bereisenswerte Städte besitzt.

Also fügte sich Frau Frogg in ihr Schicksal. Vor der Abreise las sie noch ein bisschen. Dieses Buch:

Es liess sie mit etwas mehr Vorfreude auf die geplante Reise blicken. Denn Mappes-Niediek legt nicht nur überzeugend dar, dass die Kroaten im Allgemeinen nette, äusserst gastfreundliche Menschen sind (und bei weitem nicht immer rasende Rechtsnationalisten). Er macht ausserdem klar, dass die politischen Erben von Tudjman, Stipe Mesic und Ivo Sanader, integre und europafreundliche Politiker sind. Solche, mit denen auch Frau Frogg sich nicht gänzlich unwohl fühlen würde. Im Fall von Sanader muss man sagen "gefühlt hätte", denn er ist während unserer Ferien zurückgetreten. Darüber wird noch zu berichten sein.

Nun ist Frau Frogg auf dieser Reise kein rasender Kroatien-Fan geworden. Aber... sagen wirs so: Sie denkt gerne an diese Reise zurück. Und sie würde wieder hingehen. Auch freiwillig.

18
Jul
2009

Blick in meine Handtasche

Meine Handtasche ist ganz genau betrachtet eine Schultertasche. Es ist eine Tausche Tasche. Eine grosse Tasche. Wenn ich darin grabe, staune ich immer über die Dinge, die ich in ihren Tiefen finde.

Heute Morgen fand ich:
- 10 gestern Abend ausgedruckte Seiten der Zeitung von heute
- einen Plan meiner Stadt mit Eselsohren, Marke Orell Füssli
- ein Diktiergerät Marke Sanyo
- eine Agenda Marke Bookbinders Design
- eine ausgedruckte Seite der Zeitung vom 15. Juli
- ein paar weisse Wollhandschuhe, total verkrümelt
- eine angebrochene Packung Papiertaschentücher Marke Paloma (vom Türken - mit Honigduft)
- meine Brille, Marke Dolce & Gabbana
- einen so genannten Concealer, Marke verblasst
- drei Rosskastanien, Geschenk von Tim, muss schon eine Weile her sein
- einen Kassabon der Hirschmatt-Buchhandlung vom 16. Juni über Fr. 19.80



Nicht gefunden habe ich einen karierten Knirps obskurer Marke mit ziemlich brüchigem Gerüst. Genau den hätte ich aber unbedingt gebraucht. Nicht nur, weil Regen drohte. Nein. Weil es ein ganz gewöhnlicher Samstag war. Ich brauchte eine Ahnung von Weltreichtum. Erinnerung. Etwas Nostalgie und Futter für die samstägliche Fabulierlust. Und genau das hätte mir der Schirm geboten. Denn ich habe ihn am 23. Juni auf diesem mächtigen Platz gekauft:

DSCN1190

der Piazza Unità d'Italia in Triest (Bild von Herrn T., einen Tag später). Als ich den Schirm kaufte, standen wir am Rande des Platzes, es war früher Abend und es regnete, und zwar richtig. Auch wenn Herr T. aus Gründen der Reisemoral hartnäckig das Gegenteil behauptete. Auf Regen hatte ich mich beim Packen bewusst nicht vorbereitet. Wir reisten schliesslich in den Süden. Doch hier standen wir, und der Regen machte Triest zu einer abweisenden Stadt, die Piazza lag riesig, grau und leer vor uns. "Das ist gar nicht Italien!" klagte die Frogg. Das einzige, was hier gegen die Nässe anzukommen schien, war ein leiser Duft von Jägermeister. Ein deutscher Duft. Aber vielleicht bildete ich mir das auch nur ein.

Da huschte wie aus dem Nichts ein Afrikaner auf uns zu und hielt mir eben jenen Schirm unter die Nase. "Ten Euro", sagte er oder vielleicht auch "Dieci Euro", ich weiss es nicht mehr. Ich schüttelte den Kopf. "Too expensive", sagte ich. Da sagte er "eight" und ich kaufte den Schirm. Ich hätte ihn noch weiter hinunterhandeln sollen, aber was solls. Wahrscheinlich hatte der Mann Schulden bei seinem Schlepper, und ich war erschöpft und wie erstarrt vor Fremdheit. Ich kaufte den Schirm. Er lächelte und bedankte sich sehr.

Ich brauchte das Ding später noch ein paarmal.

Heute Morgen habe ich ihn dann doch noch gefunden: In meinem kleinen Rucksack. Auch er hat eine Geschichte. Aber die erzähle ich ein andermal.

17
Jul
2009

Der Cisalpino

Gerade ist der Cisalpino wieder in aller Munde. Kein Wunder: Eine Fahrt in diesem Zug ist der unverschämt hohe Preis, den wir Schweizer zahlen, wenn wir ein bisschen Italianità tanken wollen. Er ist die Hölle, durch die jeder muss, der mit dem Zug in die Paradiese des Südens gelangen will.

Unser Cisalpino war der 9.10-Uhr-Zug am 20. Juni. Wir bestiegen ihn in Arth Goldau. Er hatte bereits zehn Minuten Verspätung, und er war gerammelt voll. Als ich einsteigen wollte, brüllte ein Kondukteur mich an, ob ich eine Platzreservation hätte. Sonst dürfe ich nicht einsteigen. Sonst müsste ich den Entlastungszug nehmen, der eben auf dem anderen Gleis hielt. Ja, ich hatte eine Platzreservation. Aber ich war halt mit dem Rucksack unterwegs und deswegen auch mit fast 44 noch suspekt. Weniger suspekt war offenbar das Pärchen gewesen, das auf unseren reservierten Plätzen sass: Zwei schwer angejahrte Gotthard-Veteranen. "Wir sind schon immer in diesem Zug gereist", erklärte Madame Gotthard-Veteranin dezidiert und in breitem Baseldeutsch, als wir sie baten, unsere Plätze freizugeben.

Fünf Minuten sah es so aus, als wollten die beiden überhaupt nicht aufstehen. Natürlich gab es einen Stau im Korridor, weil wir mit unseren Rucksäcken nirgendwohin ausweichen konnten.

Dann stemmten sich die beiden endlich auf ihre Hinterbeine."Pass uff, Beppi", sagte sie noch zu ihrem Mann, "Heb Di doo, Beppi, heb Di! Du gheisch sunscht no um!*" Was wohl ein Versuch war, uns ein schlechtes Gewissen einzujagen, verscheuchten wir doch hier offenbar greise und gebrechliche Menschen von einem Platz, auf den sie ein Gewohnheitsrecht hatten.

Doch Herr T. blieb unbarmherzig. So sassen wir irgendwo im Kanton Uri dann doch endlich auf unseren Plätzen, und unsere Rucksäcke waren verstaut. Auch unsere beiden reisefreudigen Senioren hatten noch irgendwo ein Plätzchen gefunden.

Die Fahrt wurde dennoch zum Megastress. Denn der Cisalpino ist so eng, dass er der Frogg jedesmal klaustrophobische Anfälle zu bereiten droht. Und dass man im Cisalpino besser Gummistiefel anzieht, wenn man aufs WC will, ist ohnehin notorisch. Allzu häufig sind die Toiletten überschwemmt.

Als wir die Grenze bei Chiasso überquerten, hatten wir laut dem Cisalpino-Fehlermelder cessoalpino 17 Minuten Verspätung. Was auch sein Gutes hatte: Der Unmut über die Cisalpino-Verspätungen ist ein Lieblingsthema von Herrn und Frau Schweizer. Er führte zu einem netten Gespräch mit den Mitreisenden, die in Lugano zugestiegen waren. So konnten wir gleich anfangen, unser Italienisch ein bisschen aufzuwärmen.

Als wir in Milano ankamen, betrug unsere Verspätung gefühlte zwei Stunden, faktisch aber harmlose 35 Minuten, wenn ich mich recht erinnere. Trotzdem stöhnte Herr T: "Es ist jedesmal dasselbe! Da planst Du in Milano genügend Zeit zum Umsteigen ein! Und am Schluss musst Du trotzdem seckeln**!"

Ich sagte etwas provokativ: "Da würde ich glatt den Stau vor dem Gotthard-Strassentunnel vorziehen!" Aber davon wollte Herr T. gar nichts hören. Und auf Besserung ist offenbar noch lange nicht zu hoffen. Es scheint, als wolle die Firma Cisapino eine moralische Aufgabe übernehmen und uns verwöhnte Schweizer wieder lehren: Das Paradies muss man sich mit Leiden verdienen. Allerdings frage ich mich, ob eine solche Aufgabe zum Kerngeschäft eines Unternehms des 21. Jahrhunderts gehören sollte.

* Pass auf, Beppi, halt Dich fest, Du fällst sonst noch hin!
** Rüdes Schweizerdeutsches Wort für "rennen".

14
Jul
2009

In der Touristenhorde

Früher hat sich die Frogg ja immer vorgemacht, ihre Reisen seien wenigstens ein bisschen anders als die Reisen ihrer biedereren Mitmenschen. Ich meine, eine Gotthardwanderung, wer macht das schon?! Und wer ist in New Orleans, zwei Monate vor dem Ausbruch von Katrina? Und wer macht schon eine Expedition nach Asien... naja, jedenfalls an den Westrand von Asien, in die Türkei? Doch schon in der Türkei bröckelte die Illusion. Wer sich einmal unter 1000 anderen Reisenden mit hitzegeröteten Gesichtern durch Ephesos gewälzt hat, weiss warum. Es mag versnobbt klingen, aber die Gegenwart von so vielen Mittouristen entwertet die eigene Erfahrung. In Kroatien aber krachte Frau Froggs Selbstbild endgültig und mit Getöse in sich zusammen.

Denn an der kroatischen Küste ist man als Tourist nirgendwo allein. Egal, wie individuell zu fühlen man sich entschliesst, man ist und bleibt Massentourist. In Istrien und Kroatien sieht es nicht selten so aus:

DSCN1394

Die Mittouristen verstellen den Blick auf das, was man eigentlich sehen möchte. Das Bild habe ich bei den Krka-Fällen in der Nähe von Sibenik gemacht. Ja, dort wurden ein paar Szenen der Winnetou-Filme gedreht. Aber nicht nur deswegen gab es dort so viele Schaulustige. Nein. Kroatien ist nicht nur ein Reiseziel deutscher und österreichischer Massentouristen. Kroatien wird auch von Engländern, Spaniern, Italienern und Skandinaviern besucht - also von Leuten, die über Winnetou gar nichts wissen. Nach Kroatien reisen zudem angefressene Segler, wichtigtuerische Yachtbesitzer und Kreuzfahrten-Gruppen. Und Kroatien ist die Riviera der slawischen Völker: In Scharen strömen im Sommer Menschen aus Russland, Polen und Tschechien hierher, aus der Slowakei, Slowenien und Slawonien. Biblisch, sage ich Euch. Biblisch.

Ich überlegte mir schon, ob ich auch wirklich eine gute Touristin sei (gute Touristen sind für Touristiker jene, die im Schnitt 50 Euro im Tag oder mehr ausgeben). Glücklicherweise war ich am Ende aber doch zu faul zum Rechnen.

Klar, es gibt gute Gründe nach Kroatien zu reisen. Kroatien zehrt von einer architektonisch beeindruckenden Vergangenheit. Schon die Römer haben hier Spuren hinterlassen, später auch die Venezianer, und dann hatten die Kroaten ein paar hervorragende Baumeister. Und landschaftlich? Wunderschön!

Nur: Die Frogg hatte in Kroatien kaum je das Gefühl, etwas entdeckt zu haben. Wenn sie kam, waren immer schon Hunderte da.

Aber das hatte auch gute Seiten: Nie habe ich mir mehr Gedanken gemacht über Sinn und Zweck des Reisens.

Und dann habe ich ja zum Glück meinen Blog, auf dem ich diese Reise wenigstens auf meine eigene Weise dokumentieren kann.

12
Jul
2009

Auf dem Meer

DSCN1458

Auf blaue Wassermassen blicken
In den schäumenden Schlagrahm hinter der Schiffsschraube
Sich von den Wogen wiegen lassen
Dazu die Melodie von "Azzurro" trällern und kichern, weil es passt - und weil es doch nicht passt
Die Wärme spüren
Den Wind spüren
Mit der Zunge Salzkörner vom Handrücken pflücken, er ist sonnenbraun
Dem Song des Schiffsmotors lauschen

Kirschen essen
An den letzten Pfirsichen vom Markt in Dubrovnik riechen
Sie sind sonnenwarm

Zum Horizont blicken

Nichts tun. Nicht einmal fragen

Vielleicht gebe ich mich doch damit zufrieden, eine Suchende zu sein und nicht eine Findende.

(Auf der Fähre von Dubrovnik nach Bari, am 10. Juli 2009)

19
Jun
2009

...und tschüss!

Eigentlich wollte ich mein zweites Türkei-Epos mit dem Eintrag "Die Riesenspinne auf dem Meeresgrund" abschliessen. Aber dafür reicht die Zeit nicht mehr. Naja, es handelte sich auch nicht um eine echte Riesenspinne. Sondern "nur" um eine riesige Krabbe. Und der Meeresgrund, auf dem wir sie sahen, war nur 20 Zentimeter tief. Der Wirt eines einsamen Restaurants hatte sie gefangen. Dann hatte er sie bei seiner Bootsanlegestelle mit einem Schnürchen an einen Pfosten gebunden. Da sass sie und bewegte sacht eines ihrer Spinnenbeine.

Stolz zeigte der Wirt uns seinen Fang. Die Szene fühlte sich an wie ein Fellini-Film.

Aber eben. Morgen verreise ich für drei Wochen mit Herrn T. Ich habe schon wieder Ferien, weil ich Überstunden abbauen darf.

Diesmal geht es nach Venedig und Kroatien.

17
Jun
2009

Eine Türkin will reisen

Woran denkt Ihr, wenn Ihr an türkische Frauen denkt. An Kopftücher? Naja, wenn dem so ist, dann bin ich vielleicht selber nicht unschuldig daran. Deswegen. Höchste Zeit, Euch mit der Türkin bekannt zu machen, die Acqua und ich besser kennen lernten. Ein Kopftuch zu tragen lag dieser Frau fern.

Wir trafen sie in Üçağız, auf einer Bootstour. Die Reise sollte um zehn Uhr beginnen. Doch unsere neue Bekannte führte sich ein, indem sie uns warten liess. Sie kam erst kurz nach 10.15 Uhr. Als sie dann grazil ins Boot hüpfte, übersah sie unsere kritischen Blicke und verlor keine Zeit mehr. Innert der nächsten Stunde versuchte sie unsere Reisepläne radikal zu ändern. Und sie eroberte sie unsere Herzen - und jenes des jungen Bootsmannes.

Sie heisst Funda. Erst konnte ich mir ihren Namen nicht merken, aber später lieferte sie uns eine Eselsbrücke. "Ich heisse Funda, aber ich bin keine Fundamentalistin", lachte sie. Nein, wahrlich nicht! Mit ihren hellen Haaren und den blonden Streifchen hätte sie eine junge Griechin sein können. Oder eine Holländerin. Das einzige, was an ihr entfernt an Musliminnen erinnerte, waren ihre fröhlichen, gelben Pluderhosen. Sie nahmen sich wie eine augenzwinkernde Anspielung an die ländliche Welt rund um uns aus. Sie arbeitet in der Tourismusbranche in einer Stadt an der türkischen Südküste und hat dort bereits Karriere gemacht.

Dass sie zu spät gekommen war, gehörte zu ihrem Auftritt. Sie gibt sich gerne etwas zerstreut. Sie hatte diesen leichten Charme, der Männer dazu bringt, alles für einen zu tun. Und der zuweilen einen eisernen Willen versteckt. Uns und den Bootsmann jedenfalls hätte sie beinahe dazu gebracht, unsere ganzen Pläne über den Haufen zu werfen und ganz woanders hin zu fahren als ursprünglich vorgesehen. Wenn wir nicht vergessen hätten, dass es in Üçağız keinen Bancomaten gibt, wären wir Funda bis ans andere Ende dieses zauberhaften Buchtensystems gefolgt. So aber waren wir etwas knapp bei Kasse. Wir blieben beim kurzen Bootstrip nach Kekova und Simena. Dort liess uns der Bootsmann allein, nicht ohne Funda um ihre Handy-Nummer gebeten zu haben. Wir setzten uns ins Restaurant und redeten. Wenn gerade nicht ihr Handy düdelte.

Irgendwann stellte sich heraus, dass es so oft klingelte, weil jenem Tag ihr 26. Geburtstag war.

Ihre Reise nach Üçağız war also so etwas wie ein Geburtstagsausflug. Dass sie allein war, schien sie keine Minute zu stören. Sie hatte schon jede Menge Bekannte in Üçağız. Obwohl sie erst gestern angekommen war. Sie genoss die Reise, aber eigentlich war auch klar: Irgendwann wollte sie noch weiter reisen. Nach Kuba. Oder Thailand. Oder die USA. "Und in die Schweiz?" fragten wir. Wahrscheinlich nicht", sagte sie. "Es ist so schwierig, ein Visum für den Westen zu bekommen! Erst recht seit 9/11." Sie wartete gerade vergeblich auf ein Visum für die Vereinigten Staaten. Und dann gäbe es da noch ein anderes Problem: "Wenn Du jung und aus der Türkei bist, dann haben die im Westen Angst, dass Du bei ihnen arbeiten willst. Die lassen Dich erst herein, wenn Du in der Türkei ein Haus besitzt oder verheiratet bist." Und beider sei bei ihr nicht der Fall. "Heiraten würde mir nie einfallen", sagte sie, "Aber vielleicht heirate ich, nur damit ich ein Visum bekomme und im Westen reisen kann!" Welch seltsame Formen der Scheinehe unsere Welt hervorbringt!

Es ist bedauerlich, dass Leute wie Funda gewissermassen in ihrem Land eingesperrt bleiben. Ich meine: Die Frau kann besser reisen als viele Europäer, die mir begegnet sind. Sie hat ein lebhaftes Interesse für die Welt um sich. Sie liest, sie will Dinge wissen, sie ist kontaktfreudig. Und sie versteht die Gastfreundschaft - was einem auch als Gast hilft. Mir hat sie das Grundprinzip der türkischen Gastfreundschaft erklärt: "Meine Mutter hat immer gesagt, an müsse die Bedürftigkeit des Gastes sehen und verstehen - und zwar als grundsätzliche, menschliche Bedürftigkeit."

Naja, was hier etwas theoretisch klingen mag, klang aus ihrem Mund und auf Englisch echter und menschlicher als jedes Bekenntnis eines professionellen westlichen Touristikers.

Am nächsten Tag musste Funda zurück zur Arbeit. Aber sie hatte keine Fahrgelegenheit. Wie und ob überhaupt sie es dennoch schaffen würde, wurde ein ständiges Thema für den Rest Tages, eine Art Running Gag. Unschuldig lächelnd erzählte sie von ihrer Unart, nach jeder Reise ein paar Tage zu spät zur Arbeit zurück zu kommen. Sie hatte sogar schon versucht, ihren Chef zu erreichen, um ihn um eine Verlängerung zu bitten. Am Ende jenes Tages hatte ich ein lebhaftes Bild ihres Chefs vor Augen. Er raufte sich die Haare so sehr, dass ich nicht sah, ob er überhaupt noch welche hatte.

Am nächsten Tag sahen wir sie nur noch kurz.

Aber später hörten wir, sie sei pünktlich gewesen. Gerade noch.

12
Jun
2009

Türkei für Tee-Allergiker


(Quelle: www.antalya.de)

Wer Schwarztee nicht verträgt, ist in der Türkei eine arme Sau. Denn Çay trinkt man dort jederzeit und überall. Er ist Nationalgetränk und eine geläufige und gleichzeitig symbolhafte Geste der Gastfreundschaft. Sagt man zum tulpenförmigen Glas "nein danke", so scheint das Zustandekommen zwischenmenschlicher Wärme von Anfang an gefährdet. Und ausserdem: Nichts erfrischt nach einer langen, den Kreislauf abtörnenden Busfahrt so tiptop wie ein Glas Tee.

Deshalb schlug ich zu Beginn unserer Lykien-Reise meine eigenen Erkenntnisse in den Wind. Hemmungslos gab ich mich dem Teegenuss hin. Bis mich am dritten Tag ein heftiger Schwindelanfall packte. Zum Glück sass ich schon. Sonst wäre ich wieder einmal hingeknallt.

Ich wusste: Frau Frogg muss jetzt Alternativen finden. Und sie fand Alternativen, die ich hier etwaigen Leidensgenossen nicht unterschlagen möchte:

Sie bestellte Salbeitee, auf Türkisch adaçay.

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(Quelle: farm1.static.flickr.com/187/415305568_e17a3f41c8.jpg)

Manche Kellner rümpfen die Nase, wenn man ihn bestellt. Adaçay scheint ein etwas ländliches Image zu haben. Andere mögen einen dann erst recht. Sie geben sich freudig der Illusion hin, dass dieser eine Gast etwas mehr als nur die Oberfläche ihres Landes kennt. Salbeitee wird aus den Blüten (wie im Bild), häufiger aber aus ihren Blättern der Salbeipflanzegemacht. Beides wird im Glas gleich mitserviert. Salbeitee ist hierzulande ja vor allem ein Heil- und Gurgeltee und schmeckt abscheulich. In der Türkei aber ist er milder und mit einem Stückchen Zucker durchaus ein Genuss.

Sehr zu empfehlen: Apfeltee, türkisch elmaçay: Ich hielt ihn für ein Mischgetränk aus Schwarztee und habe ihn deshalb bei unserer Lykien-Reise verschmäht - obwohl er mir mehrfach als Alternative angeboten wurde. Ich hätte ihn trinken können, wie ich zu Hause feststellte. In unserem Teeschrank fand ich eine Packung elmaçay, die Herr T. letztes Mal aus der Türkei mitgeschleppt hatte. Das Getränk enthält Apfel, Hibiskus, Zimt, Geschmacksstoffe, Brombeerblätter und Zitronenschale. Es wird zwar im Beutel serviert, ist aber schmackhaft und angenehm süsssauer.

Gelegentlich (eher selten) gibts auch Pfefferminztee, Türkisch nanaçay. Aber Achtung: Nanaçay ist ein maghrebinisches Getränk, kein türkisches.

Wo es das alles nicht gibt, gibt es oft nur Kräutertees aus dem Beutel, und die schmeckend nach seit Jahren vertrocknetem Gras und sonst nach gar nichts. Man hüte sich etwa vor Spearmint & Lemon. Da bleibt man besser beim Wasser. Oder gönnt sich, wie ich es tat, ein einziges Glas Tee im Tag. Das reicht nicht für einen Schwindelanfall.

6
Jun
2009

Unheimlicher Strand

Manche Momente sind so intensiv, so beinahe unwirklich real, dass ich sie nie mehr vergesse. Sie müssen nichts besonderes bedeuten. Doch starke Sinneseindrücke und so viele Geistesblitze treffen in diesen Augenblicken in meinem Kopf aufeinander, dass sie mir im Gedächtnis haften bleiben wie ein Brandloch in einem T-Shirt.

Einen solchen Moment erlebte ich, als ich am Strand von Maden auf den Auslöser drückte, um dieses Bild zu machen:

Tahtali dagi

Es zeigt den Tahtalı, den berühmtesten Berg von Lykien. An schönen Tagen sieht man auf seiner Ostflanke auch den Mast der Seilbahn, die hinaufführt. Mir fiel beim Anblick jenes Masts jedes Mal der Mann ein, der die Bahn gebaut hat. Er setzte sich mit dem Bauwerk ein Denkmal - und verlor bei der Errichtung seinen Sohn, der am Berg abstürzte.

Eine Tragödie, die perfekt ins Land von Mausolos und Midas passt.

Auf diesem Bild ist der Mast unter der Wolke an der rechten Bergflanke verborgen. Das Wetter hatte vor kurzer Zeit umgeschlagen. "Auf dem Tahtalı regnet es vielleicht schon", sagte ich. "Ich finde, so sollte man ihn fotografieren! Die meisten anderen Touristen sehen ihn ja bloss bei Sonnenschein!" Ich legte gerade den Finger auf den Auslöser meiner Kamera, als ich selber die ersten Regentropfen spürte.

"Komm, wir stehen im Container unter!" rief Acqua und lief los. Ich stellte noch scharf, drückte auf den Auslöser.

Dann folgte ich ihr.

Der Container. Er war ein Transportbehälter für Laswagen oder Schiffe und stand einsam am einsamen Strand von Maden, der einzige Unterstand weit und breit. Wie von Gottes Hand eigens hingestellt, damit wir zwei Genusswanderinnen trocken blieben.

Der Strand von Maden. Er liegt zwei Stunden Fussmarsch von Çıralı. Aber er könnte auch in einem Traum vorkommen. Oder einem Alptraum, ich bin mir nicht ganz sicher. Denn eigentlich ist er ein Prachtsstrand. Mindestens einen Kilometer lang, aus grauschwarzem Sand und Kies. Dahinter zartgrüne Wiesen. Und dahinter Pinienwälder und Berge.

Baden aber hätte ich hier auch bei idealen Wassertemperaturen nicht wollen. Denn Menschen haben dem Idyll unübersehbare Schäden zugefügt: eine verlassene Chrom-Mine am Westende des Strandes. Kleine Lagerhütten einer Fischfarm am Ostende. Die kreisförmigen Gehege der Farm hatten wir von oben weit draussen auf dem Meer gesehen. Bei den Baracken selber wohnte auch eine hungrige Hundesippe, die mich an jene von Pamukkale erinnerte. Und irgendwo in der Mitte lagen zwei grosse, tote Fische am Strand. Und dahinter, auf der ersten Düne, stand unser Container.

"Die gute Nachricht ist: Es stinkt hier nicht nach Pisse", sagte Acqua, als ich zu ihr in den Container traf. Sonst lag allerhand Unrat in dem Kasten: eine rostige Kette, klumpiger Staub. Aufrecht standen wir da und warteten, bis der Regen aufhörte.

Nach zehn Minuten war es soweit. Wir machten uns auf den Weg zurück nach Çıralı. Die Sonne brach bald wieder zwischen den Wolken hervor.

Erst in Çıralı fanden wir knöcheltiefe Regenpfützen vor. Hier musste es den halben Nachmittag geregnet haben.

4
Jun
2009

Ehrgeizige Pläne abgespeckt

Vielleicht habt Ihr Euch schon gefragt, weshalb wir überhaupt in die Gegend westlich von Antalya fuhren. Nun: In der Region, die Lykien heisst, kann man gut wandern. Acqua und ich hatten uns sogar ziemlich viel vorgenommen. Wir wollten einen Teil des Lykischen Wegs absolvieren, eines Fernwanderwegs, der zwischen Fethyie und Kemer der Küste entlang führt.

Gut ausgerüstet mit diesem Buch von der Engländerin Kate Clow, begannen wir, ehrgeizige Pläne zu schmieden. Noch vor unserer Abreise wichen wir jedoch von unseren hochfliegendsten Träumen ab: Wir beschlossen, kein Zelt mitzuschleppen. Wir wollten nur dort wandern, wo es auch Pensionen gab.

Dann kamen wir auf die Idee, erst einmal eine Art Basislager in einer Pension an der Strecke einzurichten. Übernachten wollten wir dort nicht oft. Wir wollten es hauptsächlich als Depot für unser überflüssiges Gepäck benützen. Wir entschieden uns, glückliche Fügung, für Çıralı als Basislager. Schlafen wollten wir dort nur drei Nächte.

Doch schon bald änderten wir unsere Pläne wieder. Denn wir stellten fest:

- In der Nähe von Çıralı gibt es in jeder grösseren Bucht eine antike Stadt, die es gebührend zu bewundern gilt.

olympos, turkey
Hier etwa das römische Bad von Olympos, wo die antiken Ruinen gewissermassen aus dem Dschungel aufsteigen.

- An den Wanderwegen zwischen den Buchten liegen zahlreiche Küstenvorsprünge. Hat man sie erstiegen, so MUSS man einfach stehenbleiben, begeistert von der Aussicht sein und ein Foto machen (oder auch zwei).

View on the Coast of Lycia

- Wegen der vielen Küstenvorsprünge, die man auf so einer Wanderung erklimmt, erleidet man erheblichen Höhenmeterdiebstahl.

- Acqua liess es sich nicht nehmen, auch auf Wandertouren hie und da eine Schwimmpause einzulegen. Wie sie die Wassertemperatur in unserer ersten Woche aushielt, ist mir bis heute ein Rätsel.

- Kate Clow's Buch enthält zwar eine relativ detaillierte Karte. Doch die hat keinen Massstab. So stellen wir bald fest: Es ist beim Wandern in der Türkei wie beim Busreisen in der Türkei. Ist alles immer ein bisschen weiter als man denkt!

So blieben wir schliesslich sechs Nächte in Çıralı. Die Tage dazwischen verbrachten wir durchaus mit Wandern (die meisten). Aber wir verabschiedeten uns von unseren ehrgeizigen Plänen und verlegten uns aufs Genusswandern.

Übrigens: Falls Ihr Euch gefragt habt, weshalb es mit meinem Lykien-Epos erst nach einer Woche weitergeht: Die Erinnerung an das Paradies hat meine Gedanken in solche Harmonie versetzt, dass ich nicht wusste, wie ich weitermachen sollte. Das ist mir noch nie passiert, ehrlich!
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