auf reisen

23
Aug
2009

Seltsame Reisegewohnheiten

Mein englischer Freund Eagle Nose hat eine merkwürdige Art zu reisen. Er sammelt Länder. Als er uns im Herzen der Schweiz besuchte, preschte er einmal mit dem Auto zweieinhalb Stunden ostwärts und genauso lange wieder zurück. Nur, um zu Hause erzählen zu können, er sei in Liechtenstein gewesen.

Man kann Eagle Nose jederzeit fragen, wie viele Staaten er schon besucht hat. Er gibt stets eine präzise Antwort. Schliesslich liefert er sich mit einem seiner Brüder einen Wettkampf, wer mehr Länder besucht hat. Herr T. behauptet gar, in Eagle Nose's Büro hänge eine Weltkarte mit vielen roten Stecknadeln drin. Sie würden die Staaten bezeichnen, die er schon besucht hat.

Frau Frogg rümpft gern ein wenig die Nase über derartiges Gebahren. Beim Reisen, sagt sie, zählt die Intensität des Erlebten. Es zählt das Erlebnis der Sinne, es zählen Geschichten, Begegnungen. Reisen ist kein Wettkampf, sondern der Genuss von Weltreichtum. Oder allenfalls Forschung. Nur ein einziges Mal fühlte ich mich versucht, es Eagle Nose nachzutun: in Neum.

View of the sea

In Neum wünschte ich mir, eine Weltkarte und rote Stecknadeln zu haben. Denn Neum ist zwar nichts weiter als ein kleiner Ferienort an der dalmatinischen Küste. Aber er liegt nicht in Kroatien, sondern in Bosnien. Wer von Split nach Dubrovnik fährt, muss dort zweimal die Grenze überqueren: hinaus aus Kroatien ins bosnische Neum - und dann wieder hinein nach Kroatien.

Auf der Bushaltestelle von Neum machte unser Bus einen Kaffeehalt. So tranken wir ein Tässchen in Bosnien, schauten aufs Meer und warfen einen Blick in den Supermarkt bei der Bushaltestelle. Die Auslagen dort bestätigten sämtliche Balkan-Klischees: Da lag billiges Zeug, und zwar alles, von der Babydecke bis zur DVD.

Dann sahen wir auf dem Parkplatz den Linienbus, der aus Sarajevo kam.

Bus from Sarajevo

Und spätestens in diesem Moment erwachte bei der Frogg die Sehnsucht, mehr von Bosnien zu sehen. Nur eine rote Nadel in ein Land stecken zu können, reichte ihr nicht mehr. Eins wollte sie aber auch nicht: Als Touristin ein sicher in mancherlei Hinsicht noch kriegsversehrtes Land begaffen. Vielmehr möchte ich Bosnien auf die frogg'sche Art erkunden. Ich möchte die Landschaften dort entdecken und durchwandern. Ich möchte sehen, wie die Menschen dort ticken.

Aber bis das möglich ist, wird es wahrscheinlich noch eine Weile dauern. Das legt jedenfalls mindestens ein Buch nahe, das ich über die Region gelesen habe.

Klaglos stiegen wir in den Bus nach Dubrovnik. Dort begann zwei Tage später unsere Heimreise.

Tja. Und mit diesem Abstecher nach Bosnien endet das Epos von Herr T.s meiner Kroatien-Reise. Es gäbe noch mehr zu erzählen. Aber der Sommer ist bald vorbei. Andere Themen drängen.

18
Aug
2009

Bei den Schönen und Reichen

Trogir ist ein unglaublich schönes Städtchen. Das ist auch dem internationales Jetset nicht entgangen. Deshalb legen dort am Quai rund um die Stadt die fetten Yachten an. Herr T. und ich liebten es, uns beim Frühstück am Quai über die Schiffe und ihre Besitzer lustig zu machen. Die Boote tragen Markennamen wie Pershing Als Kinder des Kalten Krieges müssen wir an das hier denken, wenn so etwas lesen. "Möchtegern-Weltherrscher!" lästerten wir dann jeweils. Eins der Schiffe war auf den Namen "Revitalizer" getauft. "Potenzprothese!" schnödeten wir und schilderten einander den greisen Krösus und seine jugendlichen Gespielinnen, die der leuchtend weissen Meeresvilla vielleicht bald entsteigen würden.

Die ultimative Anekdote zu diesem Ort erzählt uns Ivica. "Ich sitze gerne so am Quai und schaue abends den Leuten zu", sagt sie. "Eine Abends sah ich ein junges, schickes Paar vorbeigehen. Beide hübsch und aufgedonnert. Da kommt eine Blondine in Hot Pants und Tank Top. Sie geht am Paar vorbei. Er linst der Blonden nach. Seine Liebste sieht es und stellt ihm geistesgegenwärtig ein Bein. Er stolpert zu Boden. Seine Liebste flötet mitleidsvoll: 'Ach, Schatziii!!! Bist Du hingefallen?! Du Ärmster!!!'"

Nun ja, wenn es nicht wahr ist, ist es gut erfunden. Ivica nahm es nie so genau mit dem Wahrheitsgehalt ihrer Geschichten. In Wirklichkeit hiess sie auch gar nicht Ivica, aber das macht auch nichts. Sie war jedenfalls eine in Deutschland geborene Kroatin. Und sie erzählte in gestochen scharfem Deutsch die unglaublichsten Geschichten. Wir sassen zu Viert mit ihr am Quai von Trogir, nippten unsere Cocktails und brüllten vor Lachen.

Sie wusste zum Beispiel, dass Bill Gates mit seiner Yacht noch Kroatien gekommen war. Die liege aber nicht im Hafen von Trogir. Nein, überhaupt nicht in irgendeinem Hafen. Nein, nein, Herr Gates habe seine Yacht draussen in einer Bucht parkiert. Er habe Hafengebühren sparen wollen.

Später las ich dann zwar irgendwo, Gates habe den Hafen nahe der Krka-Fälle aufsuchen wollen. Das habe er aber nicht gekonnt, weil seine 65-Meter-Yacht dafür zu lang gewesen sein. Doch die Geschichte von Ivica ist da einfach viel besser, auch wenn sie vielleicht nur gut erfunden ist.

12
Aug
2009

Sozialismus mit Pinienduft

Ich habe über Kroatien gelästert und gelästert. Es wird höchste Zeit, dass ich mein Augenmerk auch auf meine schönen Erinnerungen an das kleine Land an der Ostadria richte. Hier die 10 Highlights unserer Reise:

1) Sozialismus mit Pinienduft: Pinienwälder laden überall an Istriens Küsten zum Spazieren. Und siehe da: Die Ufer sind zwar mit Hotels zugepflastert. Da steht auch die eine oder andere Villa. Der Zugang ist Normalsterblichen aber nicht verwehrt wie an manchen Schweizer Seen. Nein. Auf tiptopen öffentlichen Wegen kann man in diesem Land stundenlang durch duftende Parklandschaften dem Meer entlang wandeln. Eine Wohltat.

walking in malj losinj, croatia

2) Die Euphrasius-Basilika in Porec. Ein Wunderwerk byzantinischer Baukunst aus dem 4. Jahrhundert. Die Gesichter auf den Mosaiken wirken so lebendig, dass man denkt, sie würden gleich zu sprechen anfangen.


(Quelle: wikipedia.org)

3) Fisch auf kroatische Art (schmeckte besonders gut im Turmrestaurant von Porec)

4) Diesen diskreten Touch slawische Lebensart (hier nur ein Beispiel)

5) Die Arena von Pula

6) Mein kleiner Lieblingsstrand in Malj Losinj

malj losinj, crotia

7) Die Krka-Fälle, eine riesige Wasser- und Waldlandschaft, die der Tourist auf einem unglaublichen Labyrinth von Holzstegen erkunden kann

8) Das köstliche Stück Rind auf dalmatinische Art, das wir in Trogir gegessen haben

9) Die Altstadt von Dubrovnik. Die schönste Mittelmeer-Altstadt, die ich je gesehen habe (ausser Malaga, gell canela!)!

DSCN1427

10) Ein Gefühl doppelter Dankbarkeit: Grosse Dankbarkeit für die Gastfreundschaft der Menschen in Istrien und Dalmatien. Und nicht wenig Dankbarkeit dafür, in ein in einem gewissen Sinne heileres Land heimkehren zu dürfen: Die Lektüre einiger Bücher über die jüngere Geschichte dieses Landstrichs hat mir vor Augen geführt, welches Glück wir in unserer Heimat haben: Wir haben zwar Jurassier und Tessiner, Schwyzer und Appenzeller. Aber die würden nicht plötzlich erklären, sie wollten jetzt ohne Rücksicht auf die Kosten einen eigenen Staat Appenzell, Schwyz, Tessin oder Jura.

11
Aug
2009

Ultimative Touristenfalle

Die kroatische Insel Brioni war einmal Lieblingsresidenz von Jugoslawiens Staatschef Tito. Sie rühmt sich auch eines Tito-Museums. Für Hobby-Historikerinnen klingt das nach einem Must. Aber Achtung! Brioni kann man nur in Gruppen besuchen. Und was man dabei über sich ergehen lassen muss, verletzt die Würde eines erwachsenen Menschen.

- Man muss mit Scharen von lärmenden Teutonen in einer albernen Eisenbahn herumfahren
- Man muss die lauen Witze einer Reiseleiterin über sich ergehen lassen - über Schwiegermütter und Schnaps
- Man muss jedes Blümchen bestaunen und sich Gemeinplätze darüber anhören
- Zur Mittagszeit gibts nichts als die nur schwer zu kauenden Brötchen der einzigen Sandwichbar vor Ort

Brioni rühmt sich auch eines Zoos mit Tieren, die Staatsgäste Tito einst mitgebracht haben.

Zoo on the isle of Brioni

Aber wer unbedingt lebende Tiere sehen muss, geht besser in den nächstbesten Zoo seiner Heimat. Im Brioni-Zoo gibt es wenig zu sehen. Skurril wird die Sache mit den Tieren erst im Tito-Museum. Dort stehen ausgestopft all jene tierischen Staatsgeschenke, die inzwischen das Zeitliche gesegnet haben. Man hat sie ausgestopft, lässt sie in würdigen Vitrinen vor sich hinmüffeln (ziemlich durchdringend) und jagt sämtliche Touristen an ihnen vorbei.

Allenfalls kultverdächtig ist Titos Auto, mit dem die auf Brioni bevorzugt behandelten Luxustouristen auch mal eine Spritzfahrt machen können:

Tito's car

Und das Museum? Nun, es ist der Lichtblick mitten im drögen Tag. Wer sich vor ein bisschen Tito-Beweihräucherung nicht scheut, wird dort eine anregende Fotoausstellung bestaunen. Der Marschall kommt in seiner Kultstätte als treu sorgender Landesvater herüber. Und als grosser Staatsmann. Man erliegt beinahe der Illusion, er habe mit seinem Bund der Blockfreien ein Weltreich regiert.



Ein anregender Ort. Und dennoch: Ich würde nicht noch einmal hinübertuckern.

5
Aug
2009

Wahnsinn im Blümchenrucksack

Wahrzeichen der kroatischen Stadt Pula ist eine riesige, römische Arena. Majestätisch steht sie in einer sonst etwas russigen, etwas heruntergekommenen und von einer endlosen Werftmauer zugebauten Stadt.

Pula Arena Croatia

Als wir sie uns ansehen gingen, hatte ich meine andere Tasche dabei. Einen kleinen Rucksack.

rucksack 001

Viele meiner Bekannten haben mir seinetwegen Komplimente gemacht. Er sei so leicht und farbig, und überhaupt: Blümchen seien jetzt so im Trend. Was ausser mir niemand weiss: Die Blümchen haben ein fieses Geheimnis. Seht Ihr's?

rucksack 002

Ich finde, die Blütenköpfe sehen aus wie Totenschädel.

Nun ist das ja nichts Schlimmes. Irgendwie neckisch fand ich das. Fand den Designer begabt - hatte er es doch geschafft, seiner heiteren Blumenlandschaft einen Touch Grauen zu geben.

So trug ich mein Rucksäckli sorglos durch die Arena von Pula. Es war gegen Abend, und wir wandelten im Untergrund des antiken Baus. Wir betrachteten eine Ausstellung mit alten römischen Karten und langweiligem Handwerkszeug. Ich fragte mich noch, wieso man der blutrünstigen Vergangenheit des Baus so gar keine Aufmerksamkeit geschenkt hatte: den Gladiatoren, den Löwen, den Märtyrern. Wir verliessen den Kellerraum durch einen langen Korridor aus 2000 Jahre altem Gemäuer. Und dann geschah etwas Furchtbares:

Plötzlich lösten sich die Totenköpfe vom Rucksack auf meinem Rücken. Sie schwebten vor meinem geistigen Auge und starrten mich an. Sie waren meine Feinde und mein peinliches, kleines Geheimnis. Sie flössten mir ungeheures Grauen ein. Ein Grauen wie ich es schon seit vielen Jahren nicht mehr erlebt habe. Seit mehr als 15 Jahren. Schon lange nicht mehr habe ich mich so angestarrt , so unbeschreiblich von der Welt verstossen gefühlt. Das heisst: Herr T. war ja bei mir. Aber der würde wohl bald merken, dass ich verrückt geworden war. Und was würde er dann tun? Mich auch verstossen. Was hätte er denn anderes tun sollen? Ich bekam noch mehr Angst.

Ich begann tief durchzuatmen. Das half manchmal. Ich wusste es von früher.

Als wir aus dem langen Korridor traten, war der Spuk vorbei.

Ich frage mich heute noch manchmal, ob ich einfach übermüdet war. Oder ob sich die Gespenster der Gladiatoren von Pula doch bei mir gemeldet haben.

Warum ich das aufschreibe? Weil ich mich frage, ob andere auch solche Anfälle haben. Weil ich mich frage, ob man über so etwas auf einem Blog überhaupt schreiben kann. Ob und wie ich über so etwa schreiben kann.

Zarte Berührung

Während Herr T. das Hotel Hysteria erforscht, gehe ich in Pula eigene Wege. Ich fahre mit dem Bus in die Stadt. Der hält irgendwo an einer belebten Kreuzug. Alle Zeichen deuten darauf hin, dass hier Endstation ist. Ich habe keine Ahnung, wo ich bin. Deshalb frage ich einen alten Mann nach dem Weg zu den Giardini. Er versteht zwar weder Italienisch, noch Deutsch, noch Englisch. Aber er versteht mich. Und gibt mir zu verstehen, dass ich ihm folgen soll.

Dann führt er mich zwischen Scharen von Menschen über die Strasse und auf einen zugedrängelten Markt. Immer achtet er sorgsam darauf, dass wir uns nicht verlieren. Schliesslich bleibt er vor einer kleinen Abzweigung stehen und nimmt sacht meinen Arm. Er weist das Strässchen hinunter und sagt: "Sto metri; sto metri!"* Nie hat jemand die Touristin Frogg so zart und freundlich und zugleich so unaufdringlich am Arm berührt.

Und dann rückt mir ins Bewusstsein, dass kroatisch ja eine slawische Sprache ist. Erinnerungen an Russland steigen in mir hoch. Dort, so lehrte uns einst Peter, kauft man eine kleine Flaschen Wodka, indem man im Laden grinsend und mit echt russischen Draufgängertum "schto gramm!" sagt.

Von diesem Moment an mag ich Pula.

* "Hundert Meter! Hundert Meter"

2
Aug
2009

Im Hotel Hysteria

In Pula landeten wir im Hotel Histria.

Hotel Histria

Es lag meilenweit vom Stadtzentrum in einem Hotelghetto auf einer Halbinsel. Wir hatten beide nicht dorthin gewollt. Es hatte vier Sterne und war sündhaft teuer. Wie wir trotzdem hingekommen waren? Darüber breitet die Sängerin hier höflich den Mantel des Schweigens. Sagen wir es so:

- Es wäre schön, wenn es auf dem Bus-Terminal von Pula eine Tourist-Info gäbe
- Es wäre noch schöner, wenn sie am Sonntag auch nach 13 Uhr geöffnet wäre

Jedenfalls nannten wir das Haus Hotel Hysteria, kaum hatten wir uns fertig gestritten. Wir waren immer noch beide nicht sonderlich gut gelaunt, als wir unsere Siebensachen auspackten. Umso überraschter war Frau Frogg, als Herr T. plötzlich schallend lachte. Er hatte unsere Istrien-Wanderführer in den Händen: Eben hatte er darin einen Spaziergang gefunden, der genau von diesem unzugänglichen Fleckchen Erde ins Stadtzentrum von Pula führt. In etwa zwei Stunden, wohlgemerkt. Dennoch nahmen wir ihn noch am selben Nachmittag unter die Füsse. Am Abend lernten wir dann, dass es auch einen Bus vom Stadtzentrum ins Hotel Histria gibt.

Schliesslich freundeten wir uns gar mit dem Hotel Hysteria an. Herr T. machte es zum Ziel einer einsamen Exkursion:

Er entdeckte:

- Wie der Animator dort seine Schäfchen zum Wasserballspielen bringt
- Wo die Angestellten im Beauty Salon ihre Zigarettenpause machen
- In welchen Mauernischen der Hotelfassade die Mauersegler (oder waren es Schwalben?) ausruhen, wenn sie lange genug durch die Lüfte rundum gedüst sind
- Er sah jene Brüstung über dem Swimmig Pool, die man nicht betreten durfte (Einsturzgefahr)
- Und das Schlemmerlokal am anderen Ende der Lobby

Und den Lift, natürlich.
Hotel Histria Escalator, Pula

Herr T. liebte den Lift!

29
Jul
2009

Rovinj trauert um Michael Jackson

Rovinj in Istrien am 26. Juni um 9.30 Uhr: Wir frühstücken auf der Terrasse unserer Pension. Aus dem Radio im Saal düdelt ein Song von Michael Jackson. Ein Mann geht mit lässigem Schritt über die Schwelle hinein zum Buffet. Halblaut singt er den Refrain mit: "...doesn't matter if you're black or white". Es klingt wie ein Kommentar zur greifbaren Verunsicherung, die er unter den Gästen ausgelöst hat.

Der Mann ist schwarz. Er sieht Lenny Kravitz ähnlich, und er würde ohnehin auffallen unter den meist deutschsprachigen Gästen hier. Kommt noch dazu, dass er eine beachtliche Präsenz hat. Jede seiner Bewegungen, die fette Sonnebrille, die Frisur sagt: "Seht mich an!" Er ist Tänzer, erfahren wir später. Doch im Moment scheint er eigentlich gar nicht angesehen werden zu wollen. Naja, möchte ich auch nicht, so zur Frühstückszeit, von lauter schlaftrunkenen Teutonen. Er fühlt sich unwohl. Wir uns auch.

12.30 Uhr: In der Altstadt von Rovinj.

Rovinj, Croatia

Aus einer Gasse höre ich einen weiteren Jackson-Song. Billy Jean, diesmal. "Das ist ja wie anno 98 in Talinn", denkt die Frogg. Damals hörte man in der ganzen Hauptstadt von Estland nichts anderes als Boney M. Das Baltikum schien sich Europa in die Arme zu werfen, indem es seine abgelegten Popsongs rezyklierte. Und hier nun auch dieser Sound aus der Vergangenheit! Nun ja, es war unser erster Tag in Kroatien. Ich wusste noch nicht, dass das Land vielleicht sonst nicht sehr viel hat. Aber ganz bestimmt eigenen Sound. Und einen sattelfesten Geschmack in puncto Popmusik.

13 Uhr Martina erklärt uns endlich, was wirklich passiert ist. Martina verkauft Bootstouren am Quai. Jedesmal, wenn wir vorbeigehen, plaudern wir ein bisschen. Sie trägt neonfarbenen Lidschatten und ist vom vielen Herumreden mit Touristen immer ganz aufgekratzt. "You know what? Michael Jackson has died", ruft sie uns zu und beginnt theatral zu heulen. Wir tauschen die üblichen Gemeinplätze aus... "Konzerte in London... zu viele Tabletten..." Ich kann ihr nicht erzählen, dass Michael Jackson für mich schon zum zweiten Mal gestorben ist.

Denn das ist eine andere Geschichte. Die erzähle ich vielleicht, nur vielleicht, ein andermal

27
Jul
2009

In Italien? In Kroatien?

Zwischen Triest und Dubrovnik ist die Reisende Fröschin gelegentlich verunsichert. Ist sie jetzt in Kroatien oder in Italien?

In Triest (in Italien) etwa wird man sanft korrigiert, wenn man sagt, man wolle nach Rovinj (in Kroatien): "A Rovigno", sagen die Leute dann regelmässig und schauen einen prüfend an. Sie wollen sehen, ob man begriffen hat, dass Rovinj auch Rovigno ist - also eine italienische Stadt.

Nehmen wir eine ähnliche Situation in der Schweiz an. Nehmen wir an, ein Tourist in Luzern würde auf Deutsch sagen, er wolle "nach Genève". Würden wir ihn dann auch korrigieren? Ich glaube nicht. Oder doch?

Dafür haben in der Stadtgärtnerei von Triest wahrscheinlich die Kroaten das Sagen: Sie müssen dafür gesorgt haben, dass die Blumenrabatten auf den Strassen mit Lavendel bepflanzt werden. So verwirrte auf Verkehrsinseln hie und da der Duft der blauen Blüten den Abgase erwartenden frogg'schen Geruchssinn. Später merkten wir: Lavendel ist das kroatische Nationalkraut.

Dass diese Begegnung der Kulturen nicht immer friedlich verläuft, lässt sich bei Veit Heinichen nachlesen.

Obwohl 300 000 Italiener Titos Jugoslawien verlassen mussten, finden sich noch weit im Süden Kroatiens Zeichen italienischer Präsenz. In Trogir steht im Bad unseres Zimmers ein italienischer Spray gegen schlechte Gerüchte. Darauf steht: "Non copre semplicamente gli odori. Li elimina." Das passt zu unserer Vermieterin. Deshalb nehmen wir an, dass sie ihn hingestellt hat - und nicht irgendwelche italienischen Durchreisenden.

Und auf der Tour zu den Krka-Fällen hört unser Fahrer einen italienischen Radiosender.

25
Jul
2009

Ein verdammt guter Roman

Wenns um Bücher geht, habe ich ein miserables Gedächtnis. Kaum zwei Wochen nach der Lektüre bleiben mir meistens nur ein paar Bilder. Und - wie ein fast verflogenes Parfüm - die Stimmung, die das Werk verbreitet hat. Und der Plot? Was ich davon noch weiss, lässt sich jeweils in wenigen Stichworten wiedergeben.

Zum Beispiel: Ernest Hemingway, A Farewell to Arms (oder auf Deutsch: In einem anderen Land)
book cover farewell to arms
Bilder: Schlamm und Ruinen, flache italienische Provinz, Scheisswetter,
Stimmung: Tristesse, Ehrfurcht (Hauptwerk der Amerikanischen Literatur!)
Plot: Amerikaner im Ersten Weltkrieg an der Front in Norditalien wird verwundet. Er verliebt sich in die Krankenschwester, schwängert sie, setzt sich mit ihr in die Schweiz ab. Sie will in Lausanne ihr Kind gebären. Sie stirbt.

Dieser Tage habe ich den alten Hemingway-Roman wieder einmal in die Hand genommen. Anlass: Frau Frogg hatte ein etwas melancholisches Wiedersehen mit Herrn Hemingway am Fluss Isonzo. Es trug sich am 23. Juni zu. Herr T. und ich sassen im Zug von Venedig nach Triest. Im Regionalzug, denn der Schnellzug hatte Stunden Verspätung. Aber das war alles kein Problem. Nur der Himmel war für unseren Geschmack ein wenig zu trüb.

Die Landschaft ringsum sorgte auch nicht für Heiterkeit. Da lag das Friaul, topfeben, zutiefst provinziell. Der Zug bummelte dahin. Die Frogg sah sich eine Karte der Gegend im Reiseführer an. "Gorizia" las sie und "Isonzo". Und plötzlich stand Old Ernest mit seinem Roman vor ihrem geistigen Auge. Die vage Erinnerung an das Buch, das ich vor mehr als zwanzig Jahren als Literaturstudentin im ersten Semester gelesen habe.

Es begann zu regnen.

Ich ärgerte mich. Ich wollte Hemingway und seiner Weltkriegs-Story nicht begegnen. Ich habe Hemingway nie besonders gemocht. Wer hält so viel Pathos aus?! Aber da stand er und liess sich nicht fortweisen, und draussen regnete es, und dann machte mich die Erinnerung doch neugierig.

Deshalb habe das Buch dieser Tage noch einmal gelesen.

Zuerst bestaunte ich die Randnotizen, die ich vor 20 Jahre gemacht habe. Sie zeigen, wie ich die Geschichte von allen Seiten zu erschmecken versuchte - wie unsere Vegetarierin in Venedig ihren Teller mit verdure. Wie ich das Werk doch nicht zu fassen bekam. Wie unbedarft ich war.

Heute lasse ich mich von Büchern mit mehr Gelassenheit verführen. Und ich fand "A Farewell to Arms" ein verdammt gutes Buch.

1) Weil es eine hinreissende Liebesgeschichte ist
2) Weil ich diesmal verstand, wie sehr es Begriffe wie Ehre, Mannhaftigkeit und Soldatentum in Frage stellt(e)
3) Weil es ein spannendes Buch ist: Dieser Held ist so wortkarg, so verhalten, so in sich gekehrt... man will mehr über ihn wissen. Auch wenn man weiss, dass er nie mehr erzählen wird
4) Weil es manchmal vage ist und leiert, aber genau an den richtigen Stellen zu einer unglaublichen Präzision aufläuft. Etwa, als Held Frederic Henry desertiert: Die italienischen Truppen sind auf dem Rückzug. Man ist mit ihm im Chaos dieses Rückzugs. Man wird mit ihm beinahe abgeknallt von fanatischen Carabinieri; man springt mit ihm in den Fluss und spürt das eiskalte Wasser. Das ist mehr als Fiktion. Das ist, als hätte Hemingway es selber erlebt. Als würde man es selber erleben.

Henry sprang nicht in den Isonzo, der mir Hemingway anschwemmte. Sondern in den Tagliamento. Aber auch den hatten wir im Zug überquert. Und rückblickend freut es mich richtig, dass ich auf der Zugslinie gefahren bin, auf der Frederic Henry sich nach seiner Flucht zu seiner Geliebten zurückschlug.

Und erzählen muss ich das jetzt. Schnell. Denn in zwei Wochen weiss ich es nicht mehr.
logo

Journal einer Kussbereiten

User Status

Du bist nicht angemeldet.

Suche

 

Impressum

LeserInnen seit dem 28. Mai 2007

Technorati-Claim

Archiv

Mai 2025
Mo
Di
Mi
Do
Fr
Sa
So
 
 
 
 1 
 2 
 3 
 4 
 5 
 6 
 7 
 8 
 9 
10
11
12
13
14
15
16
17
18
19
20
21
22
23
24
25
26
27
28
29
30
31
 
 
 
 

Aktuelle Beiträge

Liebe Rosenherz
Danke für diesen Kommentar, eine sehr traurige Geschichte....
diefrogg - 11. Jan, 15:20
Ja, die selektive Wahrnehmung...
auch positives oder negatives Denken genannt. In den...
diefrogg - 9. Jan, 18:14
liebe frau frogg,
ein bisschen versuch ich es ja, mir alles widrige mit...
la-mamma - 5. Jan, 14:04
Lieber Herr Steppenhund,
Vielen Dank für diesen mitfühlenden Kommentar. Über...
diefrogg - 4. Jan, 15:50
Schlimm und Mitgefühl
Zum Job kann ich nichts sagen. Gibt es überhaupt keine...
steppenhund - 31. Dez, 04:38

Status

Online seit 7531 Tagen
Zuletzt aktualisiert: 11. Jan, 15:20

Credits


10 Songs
an der tagblattstrasse
auf reisen
bei freunden
das bin ich
hören
im meniere-land
in den kinos
in den kneipen
in den laeden
in frogg hall
kaputter sozialstaat
kulinarische reisen
luzern, luzern
mein kleiner
offene Briefe
... weitere
Profil
Abmelden
Weblog abonnieren
development