25
Dez
2013

Gruselgeschichte zu Weihnachten

Mitternacht wird es jeweils im Nu an Weihnachten bei Familie Frogg. Wir sind ein mitteilsames Häufchen. Acht Leute, jeder hat viel zu erzählen.

Vater Frogg hatte zum Kaffee einen duftenden Williams kredenzt.

Irgendwie war das Gespräch auf Ratten gekommen. Mit denen sei nicht zu spassen, sagte mein Vater. Dann setzte er an zu einer Geschichte aus seiner Kindheit in den engen Tälern des Napfgebirges. „Es war oben im Hinteren Chrachen, wo ein Bauer mit der ganzen Familie und einem Stall voller Vieh in ein neues Haus umgezogen war.“ Er rutschte sogar ein bisschen in den nasalen Dialekt seiner Heimat. „Wenig später, erzählte man sich, seien auch die Ratten umgezogen. Es war in der Nacht. Damit sie einander nicht verloren, hätten sich jeweils die hinteren mit der Schnauze an den Schwänzen der vorderen festgehalten. Der Menzi Sepp sei noch unterwegs gewesen und habe den Rattenzug gesehen, eine riesige Herde.“ Wir hingen an seinen Lippen. Das hatte er noch nie erzählt.

Mir fällt gerade auf, dass das keine Weihnachtsgeschichte ist. Gruselig, eigentlich. Ich bitte um Entschuldigung.

Also, der Menzi Sepp. „Er ging zu den Ratten und versuchte sie mit seinem Stock auseinanderziehen. Da stürzten sich die Tiere auf ihn und bissen auf ihn ein. Sie hörten nicht auf, bis er tot war.“

Da sassen wir, im Licht, alle zusammen, warm und geborgen und waren froh.

24
Dez
2013

Frohe Weihnachten

21
Dez
2013

Der nackte Blutdurst


Vampir Adam (Tom Hiddleston) in Only Lovers Left Alive von Jim Jarmusch.

Einen ganzen Abend lang zerbrach ich mir den Kopf über "Only Lovers Left Alive". Ich war hingerissen von seinem bleiernen, betörenden Soundtrack. Er drückte mich in den Kinosessel als wäre ich ein von Spinnengift gelähmtes Insekt. Aber was wollte der Film mir sagen?! Ich begriff es nicht. Erst heute morgen machte es plötzlich "Klick" und ich wusste es.

Der Film ist die perfekte Adaptation des Vampir-Genres an die Ängste des zeitgenössischen Zuschauers. Zwar haben seine Helden, Adam und Eve, noch einiges gemein mit den Kollegen aus dem viktorianischen Zeitalter: Sie sind genauso feinsinnige Aristokraten. Doch wenn der Hunger den Grafen Dracula packte, wurde er zum geilen, kannibalischen Blutsauger. Der nackte Überlebenstrieb, das Tierische regierte damals die Untoten.

Adam aus "Only Lovers Left Alive" dagegen bezieht seine Blutkonserven längst aus der Spenderbank im Spital. Zubeissen ist ja so altmodisch! Und zudem fürchtet man die Ansteckung mit merkwürdigen Krankheiten. Auch Ehefrau Eve hat den lebenswichtigen Stoff vom Arzt und nimmt ihn aus zierlichen Likörgläsern zu sich.


Tilda Swinton als Eve

Danach hat sie ein Räuschchen.

Beide tragen sie ein paar Jahrhunderte westliche Zivilisation mit Stil - und einer noblen Melanchole. Wobei: An der Melancholie leidet Adam. Er sehnt sich nur noch nach der magischen Hartholz-Kugel, die ihn endlich ins Jenseits befördern wird. Eve fliegt extra zu ihm nach Detroit, um ihn zu trösten. Die Liebe der beiden ist zärtlich und intellektuell - da ist keine Leidenschaft. Nacht für Nacht reisen sie zusammen durch die Ruinen der untergegangenen Industriemetropole. Aber sie kann nichts ausrichten: Adam wird immer kindischer.

Erst Evas partyhungrige Schwester Ava mischt die Szene auf - sehr zum Missvergnügen der beiden. Schliesslich müssen sie sich retten - indem sie wieder zu blutdürstigen, amoralischen Bestien werden.

Aber können sie das überhaupt?

Vampirfilme sagen ja immer mehr über Lebende und ihre Ängste als über Untote. "Only Lovers Left Alive" ist ein Film über die Furcht des spätkapitalistischen Menschen vor dem Zusammenbruch der Zivilisation. Und vor dem, was ein solcher Kollaps aus ihm machen könnte.

19
Dez
2013

Weihnachtliche Heuchelei

Zu Weihnachten entdecken die Menschen ihre wohltätige Ader. Spendenaktionen soweit das Auge reicht. Das Fernsehen blickt auf bedauernswerte Menschen, die den Winter auf dem Campingplatz verbringen. Im Weihnachtsmärchen teilt ein kleines Mädchen seine Weihnachtsguetzli mit einem obdachlosen Mann - "jööö, wie härzig"!* Zum Glück war wenigstens die Musik dazu ganz hinreissend.

Die Geldbeutel gehen auf. Der Rubel rollt wie eine Lawine.

Es fällt mir heuer zu ersten Mal auf, und es macht mich tobsüchtig: Das ganze Jahr über dürfen Herr und Frau Bürgerin mehr Härte gegen Asylbewerber fordern. Mehr Polizei, damit keine derangierten Randalierer sie stören. Sparmassnahmen bei den Sozialausgaben. Sparmassnahmen bei den Sozialversicherungen. Tiefere Steuern. Noch mehr Sparmassnahmen.

Aber zur Weihnachtszeit erhellen plötzlich tausend güldene Lichtlein die soziale Realität da draussen. "Sie wäre ja ganz dunkelgrau ohne mein Lichtlein", denken dann Herr und Frau Bürger. Sie haben keine Ahnung!

An Weihnachten brauchen Herr und Frau Bürger jemanden, den sie retten können. An Weihnachten wollen sie über ihre Güte gerührt sein.

Mir ist davon so schlecht wie von einer Überdosis Weihnachtsguetzli.

* Schweizerdeutsch für "so süss!"

18
Dez
2013

Böser Geist

Ihr könnt meine Knochen unten am Strassenrand begraben. So kann mein böser alter Geist auf einen Bus aufspringen und fahren.*

Das sang einst Robert Johnson.

"Mann!" denkt ihr jetzt. "Warum führt uns Frau Frogg so einen grauen Blues-Opa vor?! Wir wollen hier etwas Persönliches, mehr human interest!" Nun, das hier ist gerade human interest für mich. Ich kann Musik hören, und ich höre - und sehe - Blues Dokumentarfilme über Robert Johnson. Ich bin hingerissen von dieser hypnotischen Stimme, von dieser getriebenen Gitarre, von diesem Schalk, der manchmal aufblitzt. Ich erkenne eine verlorene Seele, wenn ich sie so herzzerreissend vorgeführt bekomme.



Mit 18 wurde Johnson eine Weile konventionell. Er heiratete ein Mädchen namens Virginia, und die beiden arbeiteten zusammen auf dem Land - irgendwo im Tiefen Süden der USA. Das war 1929. Robert spielte nur noch ab und an Bars, um etwas Geld dazu zu verdienen. Als Virginia schwanger wurde, ging sie zurück zu ihren Eltern. Robert zog los und machte Musik.

Als er zurückkam, war Virginia im Kindbett gestorben. "Das war Deine Schuld", sagten die Verwandten zu Robert. "Du machst diese Teufelsmusik. Das ist die Strafe dafür." Da war er 19. Danach verlieren sich seine Spuren für eine Weile. Als er wieder auftauchte, spielte er Gitarre wie ein Besessener. Es heisst, er habe einen Pakt mit dem Teufel geschlossen, um so gut Gitarre spielen zu können.

Er war bitter arm wie alle Afroamerikaner des Südens in den 30er-Jahren. Aber er hatte eine Leidenschaft: Schallplatten aufnehmen.



Viel Zeit blieb ihm nicht dafür. Er starb mit nur 26 Jahren. Das war 1938. Und wie alles im Leben des Mannes bleibt auch sein Tod düster und rätselhaft. Es scheint wahrscheinlich, dass jemand ihn aus Eifersucht vergiftet hat. Freunde brachten ihn in eine Hütte, wo er sich vier Tage lang vor Schmerzen gekrümmt haben soll. Auf seiner Sterbeurkunde steht unter Todesursache: "no doctor".

Ob er wusste, dass seine Musik die Saat für den Rock 'n' Roll enthielt? Für jene Musik, die später die Welt eroberte? Die zwei oder drei Generationen westlicher Jugendlicher aus den Fesseln überkommener Konventionen befreien würde?

Es ist denkbar. Ihm stand ein bemerkenswerter Durchbruch bevor. Kurz nach seinem Tod gab es in der Carnegie Hall in New York ein grosses Konzert mit Blues- und Jazz-Grössen statt. Johnson's Name stand auf dem Programm. Es soll das letzte gewesen sein, was man ihm sagte, bevor er starb. Hier mehr dazu.

* "You may bury my body down by the highway side so my old evil spirit can get a Greyhound bus and ride."*
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Journal einer Kussbereiten

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