13
Okt
2012

Tipps für den Arztbesuch

Von den Ärzten in öffentlichen Spitälern sollte man menschlich nicht viel erwarten. Die Mechanik einer Krankheit steht für sie im Vordergrund. Mit Problemen, die darüber hinausgehen, wollen die meisten nicht behelligt werden.

Gerade mit Assistenzärzten sollte man in dieser Hinsicht Verständnis haben. Sie haben astronomische Arbeitszeiten. Schwäche darf in ihrem Bewusstsein gar nicht vorkommen, sonst klappen sie zusammen. Sie haben sich ein schlagkräftiges Abwehrsystem gegen Anzeichen von Schwäche zugelegt. Einige von ihnen wenden es reflexartig auch dann an, wenn sie Anzeichen von Schwäche in Patienten sehen.

Falls Sie jedoch schlicht nicht um Fragen zu Krankschreibungen, Sozialversicherungen oder einem drohenden Nervenzusammenbruch herumkommen, hier ein paar Tipps:

1) Behandeln Sie den Arztbesuch ähnlich wie ein Vorstellungsgespräch bei einem potenziellen Arbeitgeber. Kleiden Sie sich nach Möglichkeit gut, gerade als Patientin. Denn Ärzte (edit: auch Ärztinnen!) können sich oft schlicht nicht vorstellen, dass auch Frauen ernst zu nehmende Arbeit verrichten und eventuell krank geschrieben werden müssen.

2) Bereiten Sie sich gut vor. Formulieren Sie im Voraus eine oder zwei Fragen (nicht mehr), die Sie unbedingt beantwortet haben müssen. Kürzen Sie die Vorgeschichte auf zwei klare Sätze zusammen. Das muss reichen. Üben Sie vor der Arztvisite.

3) Lächeln Sie! Egal, ob Sie gerade ertaubt oder erblindet sind oder aus dem Anus bluten - lächeln Sie! Ein leidendes Gesicht zerstört jede Koorperationsbereitchaft des Arztes.

4) Erwähnen Sie unbedingt früh Ihre berufliche Tätigkeit. Tun Sie dies nicht beiläufig, sondern klar und deutlich. Der Arzt wird Sie dann belächeln, aber er hat wenigstens die Information registriert.

4) So sorgen Sie dafür, dass Sie zu Wort kommen: Was der Arzt gern als "Gespräch" bezeichnet, ist oft ein Ärztemonolog. Sorgen Sie also dafür, dass der Arzt etwas tun muss, was ihn am Sprechen hindert. Zum Beispiel Blutdruck messen oder Ohren reinigen. Nutzen Sie unverzüglich die Chance!

5) Schmeicheln Sie dem Ego des Arztes: Fangen Sie an mit einem Satz wie: "Wissen Sie Herr Doktor X, ich habe da ein Problem, bei dem ich unbedingt den Rat eines Experten brauche." Klingt blöd, hat aber noch nie geschadet!

6) Bleiben Sie stets sachlich! Erheben Sie nie effektvoll die Stimme an einem dramaturgisch zentralen Punkt. Der Arzt könnte das als Schwäche missverstehen und dann... siehe oben.

7) Lassen Sie ihn dann reden, so lange er will. Auch wenn er nebst dem Wesentlichen Dinge sagt, auf die Sie nicht gewartet haben. Sie lernen so den Arzt besser kennen. Das hilft beim nächsten Mal.

10
Okt
2012

Kindheitserinnerung

Ich war damals noch nicht neun Jahre alt. Das weiss ich. Denn es geschah am Hang vor unserer ersten Wohnung. Ein Hang, der in meiner Erinnerung so unglaublich grün und so voller Wasebürsteli* ist.


(Quelle: www.blackstein.de)

Der Hang gehörte zu den Grünflächen zwischen den Wohnblöcken unseres Quartiers. Ganze Kinderscharen durchstreiften sie und spielten in den Hecken verstecken. Doch wehe, wenn wir in die Rosenbüsche trampelten oder einen Mucks zu viel machten! Dann bekamen wir Ärger mit zwei alten Männern.

Der eine war unser Abwart - Gott habe ihn selig. Er hiess Haessig, und das ist wahr. Und er konfiszierte gerne unsere Dreiräder. Der andere hiess Laut und schimpfte viel. Er schimpft heute noch - als Sprachrohr der ultrakonservativen Katholiken in den Leserbriefspalten unserer Lokalzeitung. Er muss so alt wie Methusalem sein.

Meine Eltern hatten irgendwann genug von Laut und Haessig. Als ich neun war, zogen wir weg. Es muss also vorher passiert sein. Aber ich erinnere mich noch sehr genau daran: Ich stand an jenem Hang, allein. Ich blickte hinüber zu einem Grüppchen anderer Kinder. Ich hörte sie spielen. Und plötzlich hatte ich das Gefühl, sie mit dem linken Ohr nicht mehr richtig zu hören. Es war ein düsterer Moment. Die Ahnung eines grossen Unglücks streifte mich.

Ich weiss noch: Ich entschied mich für einen merkwürdigen Hörtest. Ich warf mich uns Gras und legte mein rechtes Ohr auf die Erde. Ich wollte wissen, ob ich meine Gspänli dann mit dem linken Ohr noch hören konnte.

Doch. Ich konnte sie noch hören. Ich war sehr erleichtert.


* Wasebürschteli (Vasenbürsten) haben in der Schweiz ein gutes Dutzend Namen, zum Beispiel Margritli - zu Deutsch heissen sie wohl Massliebchen

7
Okt
2012

Held mit Hörproblemen

Als Goyas Geister 2006 in die Kinos kam, ging das glatt an mir vorbei. Dabei hat darin einer der ansehenlichsten Kinostars der Gegenwart eine wahrhaft diabolische Rolle.



Javier Bardem spielt Pater Lorenzo. Er ist erst Inquisitor, dann Chef der grausamen napoleonischen Truppen in Spanien.

Schon deswegen verdient der Streifen das Prädikat "äusserst sehenswert". Er verdient es aber auch, weil er ein differenziertes Porträt von einem tauben Menschen zeigt: vom Maler Francisco de Goya (Stellan Skarsgard).



Nun war Goya nicht immer taub und nicht irgendein Mensch mit einer Hörbehinderung. In jüngeren Jahren hörte er gut. Er absolvierte einen steilen sozialen Aufstieg und wurde Maler am Königshof. Schon seine Bilder von der Königsfamilie hätten ihn unsterblich gemacht.

Mit 46 aber ertaubte er gründlich. Er zog sich vom Hof zurück, richtete seinen Blick auf die Inqusition und zeigte ihre Protagonisten in schonungslos satirischen Druckgrafiken.



Im Film wird der taube Maler zum guten Gegenspieler von Pater Lorenzo, ohne zu einem behinderten Superhelden stilisiert zu werden. Als Filmfigur macht Goya Mut: Weil er zwar taub ist, aber nicht nur. Er ist ein Mensch mit vielen Talenten, vielleicht sogar ein bisschen privilegiert. Die existenzielle Erschütterung, die ein starker Tinnitus und ein Hörverlust verursachen, wird zwar angedeutet. Aber Goya hat die Taubheit akzeptiert. Sie ist lästig, nicht mehr und nicht weniger. Er gerät in eine schwierige Zeit und versucht dennoch, nicht nur für sich zu sorgen. Und er weiss sich zu behaupten - in Würde.

Oh, der Film hat eine lachhafte Seite: Ich kann mir nicht vorstellen, dass der echte Goya einen Gebärdendolmetscher hatte. Aber vielleicht ist das ein dramaturgischer Trick: Man wollte den Zuschauern nicht die Geduld abverlangen, die es nun mal braucht, um eine alltägliche Konversation mit einem schwerhörigen Menschen zu führen.

Vielleicht ist es ganz gut, dass ich ihn erst jetzt gesehen habe.

3
Okt
2012

Passbilder von Frau Frogg

Wenn man von Frau Frogg das Unmögliche verlangt, dann tut sie es auch. Aber sie bekommt dabei diesen stoischen Blick:



Hier sieht man sehr gut: Es ist äusserst unglücklich, dass ausgerechnet Passbild-Automaten das Unmögliche von ihren Benutzern verlangen.

Die Regeln lauten:

1) Sorgen Sie dafür, dass Ihr Gesicht genau in den vorgegebenen Rahmen passt
2) Blicken Sie gerade in die Kamera
3) Tragen Sie keine Brillen oder Kopfbedeckungen und halten Sie die Ohren frei
4) Lachen Sie nicht, halten Sie den Mund geschlossen

Frau Frogg hielt sich genauestens an alle diese Vorschriften - glaubte sie jedenfalls. Und doch meldete der Apparat beim ersten Versuch: "Ihr Passbild entspricht den Anforderungen nicht."

"Woran das wohl liegen mag?" sinnierte Frau Frogg. Der Automat schwieg sich darüber aus. Lag es daran, dass die Ohren nicht ganz frei waren? Aber die Frau auf dem Beispielbild hatte doch lange Haare und deshalb auch keine freien Ohren. Und wenn Frau Frogg die Frisur von den Ohren zieht, dann sieht man das Hörgerät. Und dann stellt sich die Frage: Ist ein Hörgerät gleich zu behandeln wie eine Brille oder Kopfbedeckung und auszuziehen? Oder nicht?

Ich habe es nie herausgefunden. Beim zweiten Versuch meldete der Automat wiederum sibyllinisch: "Ihr Passbild entspricht den Anforderungen nicht." Vor Ärger drückte ich die OK-Taste zu früh. Heraus kam die Visage oben mit dem stoischen Blick und der geradezu kubistischen Verzerrung der linken Gesichtshälfte.

Ich versuchte es kein drittes Mal. So eine Passbild-Karikatur kostet 8 Franken. Da lohnt sich der Mut zur Hässlichkeit. Die städtischen Verkehrsbetriebe werden damit zurechtkommen müssen.

29
Sep
2012

Das Kind und die Touristen

Mein Gottenbub* Tim (7) ist ein sehr blondes Kind. Zusammen waren wir neulich auf dem Zentralschweizer Top-Aussichtspunkt Titlis. Dort oben tummelten wir uns unter Dutzenden von asiatischen Touristen. Der Titlis ist eine beliebte Bollywood-Szenerie. Und auch Japaner und Chinesen sind offenbar begeistert vom Ausflug mit der rotierenden Bergbahn.


(Quelle: www.imspycher.ch)

Wir spazierten so durch den Sulzschnee auf dem Gipfel, als uns plötzlich - schwups - ein paar Japanerinnen klein Tim entrissen. Sie führten ihn zwei Meter weiter zu einem Grüppchen, stellten ihn in die Mitte und posierten für ein Gruppenfoto.

Ganz offensichtlich waren sie von seinen blonden Haaren begeistert. "Ein richtiger Geissenpeter!" schwärmten sie wohl auf Japanisch - es heisst ja, die seien alle Heidi-Fans, die Japaner.

Das alles ging sehr schnell. Tim kam gar nicht auf die Idee, die Fassung zu verlieren. Aber seine Mutter erzählte mir später: "Einmal wollten Asiaten ihm im Bus die Haare anfassen. Da wurde er ziemlich hässig."

* Mein Patensohn
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