31
Okt
2012

Haushalt als Spitzensport

Wir brauchten eine Pause, liessen uns in die Sitzpolster fallen und starrten erschöpft auf den Boden. Vor uns lagen Orientteppiche - prächtige Stücke. "Schau mal die Fransen an!" sagte der Tigerschwager. "Ich habe ein Freundin, die bei solchen Teppichen immer die Fransen gerade streicht. Sie bekommt einen Nervenzusammenbruch, wenn die nicht sauber entwirrt sind."

"Das hat meine Mutter auch gemacht", erinnert sich Frau Frogg und kommt ein bisschen ins Dozieren. "Das war noch zu der Zeit, als Frauen aus der Mittelschicht keine Erwerbsarbeit leisteten - das war ein Privileg. Auch deshalb betrieben viele Frauen das Haushalten als höchst kompetitiven Sport. Perfektion war das Minimum."

Herr T. und der Tigerschwager nickten wissend. Wir waren dabei, den Haushalt des Tigervaters aufzulösen. Ein Haushalt, in dem zwei olympiamedaillenverdächtige Vertreterinnen aus dieser Hausfrauen-Generation gewirkt hatten.

Es waren nicht gerade ideale Tage, um Möbel nach draussen zu tragen.


(Gartensitzplatz im Schweizer Mittelland am 29. Oktober 2012)

Aber solche Dinge können nicht ewig warten. So räumten wir säuberlich mit Schrankpapier ausgelegte Schubalden und Schränke aus. Die Wäsche darin war gebügelt und auf den Millimeter genau zusammengelegt. Die Spitzendeckchen auf den Kommoden: blütenweiss. Die Vorhänge an den Fenstern: blütenweiss. Dabei steht die Wohnung seit zwei Monaten leer.

Es war, als räumten wir ein Museum aus - das Museum der perfekten Hausfrauen. Später diskutierten wir darüber, wie sehr sich die Dinge geändert haben. Dass im Haushalt heute Zeitgewinn alles ist. Frau Frogg sagte: "Ich habe neulich mit einer Freundin darüber diskutiert, ob es gut wäre, zwei Spülmaschinen zu haben. Dann müsste man das Geschirr nie versorgen." Der Tigerschwager sagte: "Freunde von mir machen das so."

Und falls Ihr jetzt glaubt, das hier sei das Operationsbesteck eines wahnsinnigen Chirurgen:



Nein, ist es nicht. Es ist das Tafelsilber von Tante Dora - der dritten Frau, die auf den Tigervater-Haushalt Einfluss gehabt hat. Zugegeben: Es ist nicht blitzsauber. Aber es ist ja auch noch eine Generation älter als das Tafelsilber der Tigermutter. Wir vermuten, dass Tante Dora ein Dienstmädchen hatte, um es zu reinigen. Aber das ist lange her.

27
Okt
2012

Jesus

In letzter Zeit bin ich ein paarmal in die Kirche gegangen, um zu beten. Es fällt mir nicht leicht, darüber zu schreiben. Religion ist tabu - man spricht verschämter darüber als über Sex, über den Tod oder über Geld.

Aber ich hatte eine schwierige Entscheidung zu treffen. Aus meinem Inneren ertönte eine Kakaphonie von Meinungen. Ich brauchte eine Stimme von aussen. Eine Stimme mit Autorität.

Gestern sass ich in der Kirche und richtete den Blick gegen den Altar. Ich versuchte mich zu öffnen für die Stimme von da oben. Es ist eine Kirche aus den fünfziger Jahren. Mein Blick glitt über die nackte Betonwand hinter dem Altar. Da ist nichts - nur weit oben eine Jesus-Figur am Kreuz.

Ich sah ihn leiden und ertappte mich beim Gedanken: "Ich hätte da vorne lieber eine kriegerische Figur. Jemanden, der verspricht, mich zu beschützen. Leiden tue ich gerade selber."

Seither rätsle ich an der uralten Frage herum: Was ist es, was diesen Jesus für Generationen von Menschen so attraktiv gemacht hat? Ich verstehe es nicht.

Dennoch: Der Blick nach oben hat geholfen. Ich habe meine Entscheidung getroffen. Jetzt fühle ich mich leichter. Gottseidank.

24
Okt
2012

Die Telefon-Odyssee

Seit grauer Vorzeit laufen der Fernseher und das Radio von Frau Frogg und Herrn T. dank der Firma SchnarchCom. Bilder und Ton kamen aus einem diskreten SchnarchCom-Anschluss in unserer Wohnung.



Doch dann zogen mehrere technische Revolutionen übers Land. Ihr wisst schon: Internet, Digitalfernsehen und so. Eines Tages kam Herr T mit einer neuen Idee: "Wir könnten das alles viel billiger und besser haben! Wir könnten den Fernseher, das Internet und das Telefon über dasselbe Kabel und denselben Anbieter laufen lassen." Frau Frogg rümpfte die Nase. Technik ist nicht so ihr Ding. "Wenn etwas funktioniert, sollte man es in Ruhe laufen lassen", ist stets ihr Standpunkt gewesen.

Herr T. schwieg. Aber eines Tages bekam er Besuch von zwei Söldnern der Firma FixCom. Sie waren dabei, der SchnarchCom Kunden abzujagen - mit einem günstigen Angebot genau nach der Idee von Herrn T. Sie hatten alles, sogar ein Kästchen-Kündigungsschreiben an die SchnarchCom.

Frau Frogg geriet in die Defensive. Herr T. schwor, er werde sich um alles kümmern. Wir liessen uns von der FixCom erobern und schickten unser Kündigungsschreiben an die SchnarchCom. Die Firma hätte nur noch jemanden schicken müssen, der uns das diskrete Kästchen in der Wand versiegelt.

Doch, treue Leser, Ihr seht den Konjunktiv. Seit Ende August ist unsere Kündigungsfrist bei SchnarchCom abgelaufen. Das Kästchen ist noch unversiegelt. Noch droht uns das Ungemach, dass wir sowohl bei SchnarchCom, als auch bei FixCom fürs Fernsehen bezahlen müssen.

Da griff Frau Frogg zum Telefon - und machte nach einiger Zeit ein Gesicht wie weiland dieser Herr:



Das ist Odysseus. Und, ja genau: Frau Frogg wurde zum Telefon-Odysseus, bevor eine Lösung sich abzeichnete.

Bald könnt Ihr hier mehr darüber lesen.

21
Okt
2012

Die Abwaschmaschinen-Revolution

Es gibt ein Gerät, das den Haushalt in den letzten zwei Jahrzehnten radikal verändert hat: die Abwaschmaschine. Das habe ich letzte Woche auf die harte Tour gelernt - als wir begannen, die Wohnung des verstorbenen Tigervaters zu räumen.

Leider begibt es sich, dass wir puncto Geschirr ein wenig klamm sind. "Ach, wir übernehmen das Geschirr meiner Eltern, das ist doch ganz wunderbar!", sagte der Herr T.

In der Tat beweist das Geschirr, dass die Tigereltern Geschmack hatten. Nur ist es Goldrand-Geschirr. Etwas in der Art:


(Quelle: https://medien.markt.de)

Doch hat es über die Jahre innige Bekanntschaft mit einer Spülmaschine gemacht. Es beweist eindeutig, was auf gewissen Internet-Foren noch immer bestritten wird: Spülmaschinen verwaschen Goldränder, glaubt mir!

"Wollen wir verwaschenes Goldrand-Geschirr?" fragten Frau Frogg rhetorisch. Wären wir normale, vernünftige Mittelstandsschweizer, hätten wir an diesem Punkt gesagt: "Nein, wollen wir nicht. Wir trennen uns davon uns schaffen etwas Neues an, was unseren Bedürfnissen entspricht." Sprich: etwas Spülmaschinentaugliches.

Doch das sind wir nicht. Herr T. trennt sich schon von alten Papierfetzen nur mit schmerzverzerrtem Gesicht - von Porzellan wollen wir gar nicht anfangen! Und Frau Frogg sieht sich finanziell immer noch in ungewisser Lage. Neues Geschirr kaufen? Lieber nicht. Was also tun?

Erst an diesem Punkt rückte uns ins Bewusstsein, dass die Tigereltern noch einen zweiten Schrank voller Geschirr besessen hatten: das Goldrand-Geschirr der reichen Erbtante Dora. Schweres Geschütz. Dicke Goldränder. Die Suppenschüssel zum Seufzen schön! Etwas in der Art:


(www.mskusa.de)

Wir sollten versuchen, es zu verkaufen. Aber wer kauft Dir heute noch Goldrand-Geschirr zu vernünftigen Preisen ab?! Hat doch jeder eine Abwaschmaschine!

19
Okt
2012

Weiblicher Sexteufel auf der Alp

Die Geschichte vom Sennentuntschi ist ein Stoff, der in jeder Alpensagen-Sammlung vorkommt. Ich kannte ihn schon als Kind. Ich glaubte, mich könne daran nichts mehr überraschen. Aber seit ich vor ein paar Tagen die Verfilmung von Michael Steiner gesehen habe, verfolgt mich die Geschichte. Wer die DVD in die Hände bekommt, sollte sie sich unbedingt ansehen.



Auch für Österreicher hat er einen Anknüpfungspunkt: Der Wiener Nicholas Ofczarek spielt darin einen jungen Dorfpolizisten. Hart an der Grenze zur Karikatur - aber auch voller verhaltener Zärtlichkeit. Stark.

Heutzutage konzentriert man sich ja vor allem auf den Sex in der Geschichte: Drei Männer auf der Alp erwecken im Rausch eine weibliche Puppe zum Leben. Ist ja klar, was die drei da oben mit ihr machen: Sie gehen so richtig zur Sache. Heutige Autoren vermuten, dass die eben Fleisch gewordene Puppe sich den notgeilen Viehhirten nicht freiwillig hingab. Sie wurde vergewaltigt. Dass das geschundene Weib sich grausam rächt, ist für uns heute beinahe legitim.

Aber die Geschichte hat auch eine Dimension. Hätte man mich als Kind gefragt, was denn das Frevelhafte am Benehmen der drei Älpler gewesen sei, hätte ich gesagt: "Sie gaben einer Puppe richtige Milch zu trinken." Natürlich, ich verstand als Kind die Sache den Vergewaltigungen noch nicht. Aber ich verstand die christliche Moral der Geschichte: Man behandelt tote Dinge nicht, als wären sie lebendig. Und man gibt ihnen sowieso kein richtiges Essen, denn Essen ist knapp und wertvoll. Wer so etwas tut, tut Teuflisches und wird teuflisch bestraft.

Aber mit solchem Zeug muss man den Leuten heute nicht mehr kommen. Da fangen sie zu gähnen an. Und doch braucht die Geschichte das Element des des Christlichen - sonst gibt es nichts Teuflisches. Steiner bringt daher einen Dorfpfarrer ins Spiel. Einen, der anscheinend etwas zu verbergen hat. Etwas, was schliesslich ganz der zeitgemässen Wahrnehmung der katholischen Kirche entspricht - ziemlich banal.

Reizvoll ist aber, dass Steiner dem Pfarrer den Polizisten als Gegenspieler gibt. Der Polizist ist der Mann aus dem Krimi, der in den ohnehin verlogenen christlichen Mythos einbricht. Weil das auch schon etwas altmodisch wirkt, hat man die ganze Geschichte in die siebziger Jahre verlegt. Purer nostalgischer Zuckerguss, aber ich gestehe: Er hat mir himmlisch geschmeckt. Warum? Hm, das erzähle ich ein andermal.

Hier nur noch so viel: Endgültig zeitgenössisch ist erst der Schluss. Dort wird aus der Story plötzlich ein Serienmörder-Schocker aus den nuller Jahren. Gruselig.

Und das Rätselhafte am Ganzen bleibt: Welche dieser ineinander verschachtelten Geschichten gilt nun? Der christliche Mythos? Der Krimi? Der Grusel-Schocker? Ich weiss es immer noch nicht.

Teuflisch.
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