23
Sep
2012

Hochzeiten, Beerdigungen

Mein letzter Eintrag war vielleicht etwas kryptisch. Ich finde, ich sollte noch ein paar Erläuterungen hinzufügen.

Natürlich - er dreht sich um mein schwaches Gehör. Damit sieht es im Moment etwa so aus: Wenn ich unendlich sorgsam mit mir umgehe; wenn ich keinerlei Stress habe; wenn ich lebe wie eine Einsiedlerin; dann kann ich manchmal wieder ein paar Stunden oder Tage lang Musik hören. Und sie klingt sogar wie früher. Vorausgesetzt, das Wetter ist richtig.

Aber der geringste Stress kann das fragile Gleichgewicht der Flüssigkeiten in meinem einst guten Ohr zum Kippen bringen. Manchmal reicht ein Föhnlüftchen oder ein Kaltfröntchen. Und dann klingt Musik wieder nur wie Lärm.

Dabei unterscheidet mein Ohr überhaupt nicht mehr zwischen gutem und schlechtem Stress. So ist Frau Frogg ein durchaus geselliger Mensch. Aber in letzter Zeit bekommt sie schon einen Hörsturz, wenn sie nur an eine grössere Menschenansammlung denkt - egal ob Hochzeit oder Beerdigung.

Aber kann man für den Rest seines Lebens Hochzeiten und Beerdigungen fernbleiben, nur um zwischendurch ein paar Takte Musik hören zu können?

22
Sep
2012

Abschied

Neulich ging ich auf dem Golfplatz am Hügel spazieren. Der Rasen leuchtete, als würde das Leuchten morgen verboten. Fast zuoberst sah ich meine gitarrenbewehrten Schutzpatrone am Weg stehen. Sie hatten ihre Instrumente eingepackt und standen da wie auf einem Plattencover der Achtziger - Page, Green und White. Entschlossen. Als wüssten sie, wo sie hinwollten.

"Wir verlassen Dich jetzt", sagte Page. "Wir können nichts mehr für Dich tun." Green senkte den Kopf und bekam krumme Beine. Er hatte ein schlechtes Gewissen.

"Du musst ohne uns weitermachen. Du musst leben", sagte Page.

Ich vergoss ein paar Tränen. Ich sagte: "Ich weiss nicht, wie das gehen soll. Ich bin doch sozusagen für die Musik geboren."

Die drei schauten einander an. "Ähem... sorry, aber wir sind für die Musik geboren", sagte Green, "Du bist zum Schreiben geboren."

"Bastards!" sagte ich.

White hatte nichts gesagt. Aber am selben Abend hörte ich ein paar Stunden lang ziemlich gut. Da fuhr mir plötzlich aus einem Fernseh-Werbespot sein Riff aus "Seven Nation Army" ins Rückenmark. Nichts fährt so ins Rückenmark wie ein gutes Gitarrenriff, glaubt mir.

"Hey, Jungs", rief ich! Irrtum! Es ist noch nicht soweit!" Aber der Irrtum war ganz auf meiner Seite. Am nächsten Morgen war ich wieder stocktaub.

17
Sep
2012

Ein Bier-Beitrag

Auf meinen Spaziergängen sehe ich in diesen Tagen oft Hopfenblüten.



Natürlich: Die meisten Leute denken diesem Anblick zuerst an Bier. Ich nicht. Ich habe Bier nie gemocht. Ich habe ein schönes Glas Wein stets bevorzugt. Oder einen Schnaps. Mir ist die Hopfenblüte vielmehr ein Schlüssel zur literarischen Schatzkammer in meinem Oberstübchen. Deshalb wird dieser Beitrag eher schöngeistig als bierselig.

Mir fallen bei Anblick der Blüte immer die Geschichten von der Hopfenernte in England ein. Wer sich da allerdings pastorale Idyllen vorstellt, täuscht sich. Die Hopfenernte war vor allem für sozialkritische Schriftsteller ein Thema. Für Jack London. Oder George Orwell. Nicht zufällig, wie dieser Link zeigt. Er gewährt auch wieder mal Einblicke in die kulinarischen Kenntnisse von Grosseltern - diesmal von jenen Englands.

Während der Hopfenernte in Kent zogen Leute aus London in Scharen aufs Land. Für die Ärmsten der Stadt war die Hopfenernte Sommerferien-Ersatz. Selbst Penner hatten für eine Weile Lohn und Logis - allerdings beides hundsmiserabel.

Und ohne weiteres fällt mir dann auch jene grossartige Doku-Serie über die Strassen von London ein, von der ich neulich auf BBC 2 einen Teil gesehen habe. Wirklich, von sowas könnte sich das deutschsprache Fernsehen eine Scheibe abschneiden!

In einer Folge wird erzählt, wie im Sommer ganze Familien aus einer ärmlichen Strasse in Southwark nach Kent ins Hopfenlager zügelten. Schon kleine Kinder pflückten sich in den Gärten die Händchen kaputt.

Inzwischen gibt es in England kaum noch Hopfenfelder. Der Anbau lohnt sich nicht mehr.

Das alles ist ja nicht schön. Und es hat im Grunde nichts mit mir zu tun. Was die Frage aufwirft: Warum freut es mich trotzdem, dass der Hopfen mir den Schlüssel zur Kiste mit diesen Geschichten in die Hände? Warum schreibe ich sogar darüber?

Vielleicht nur, um mir zu beweisen, dass - gerade angesichts von Existenzängsten - auch ein reich mit Geschichtenkisten bestücktes Oberstübchen ein Asset ist.

14
Sep
2012

Was Grossmutter ass

"Iss nichts, was nicht auch Deine Grossmutter als Essen anerkannt hätte." Dieses Zitat ist momentan bei Lifestyle-Kolumnisten sehr en vogue. Es wird einem Michael Pollan zugeschrieben. Die Kolumnisten garnnieren es gern mit Angebereien über ihr Ratatouille aus handverlesenem Gemüse und ihr schönes Stück Rindfleisch. Sie erwarten wohl, dass ich beim Lesen beifällig lächle. Aber ich stosse jeweils nur trockenes Hohngelächter aus.

Ich meine: Ich weiss ja nicht, was Grossmutter Pollan so ass. Aber glaubt mir: Ich weiss, was meine Grossmutter ass. Meine Mutter hat es mir erzählt. Mit angewidertem Gesicht hat sie einmal ihren ersten Besuch auf dem Bauernhof ihrer Schwiegerelten in spe geschildert. "Auf der Winteregg war gerade Metzgete*", erinnerte sie sich. "Deine künftige Grossmutter stand am Herd und rührte in einem grossen Topf." Nun ist die alte Küche der Winteregg noch in meinen Kindheitserinnerungen Ort mit schmutzigen Fliesen.

Doch nicht daran störte sich meine Mutter. Sie störte sich am Inhalt des Topfs: "Ich blickte hinein und sah einen grossen Blutsee - vom frisch geschlachteten Schwein. Die Mutter rührte darin, und der See gerann langsam. UUUääähh!!!" Nie mehr rührte meine Mutter Blut- und Leberwürste an.


(Quelle: wl27www804.webland.ch)

Einen solchen Anblick gab es bei uns zu Hause nie.

Versteht Ihr jetzt, warum mir keiner mit solchem Geschwätz kommen soll, der sein Rindsfilet nicht selber aus dem toten Tier gepuhlt hat?

Klar, ich weiss: Pollan geht es vor allem darum, die Auswüchse der Nahrungsmittelindustrie zu geisseln. Ich weiss auch, dass ich Leser habe, die von gewissen chemischen Zutaten Magenbeschwerden bekommen. Ich möchte diesen Lesern keinesfalls davon abraten, das Kleingedruckte auf den Lebensmittel-Verpackungen ernst zu nehmen.

Ich möchte aber auch anmerken: Die Rate jener Menschen, die in den Industrieländern an Magenkrebs sterben, ist in den letzten Jahrzehnten erheblich gesunken. Das ist hier belegt. Insgesamt ist unsere Ernährung also wohl eher gesünder geworden.

* "Metzgete" heisst in der Schweiz traditionell jener Anlass im Herbst, bei dem ein Fleischer auf den Bauernhof kommt und vor Ort ein Tier schlachtet - meistens ein Schwein.

8
Sep
2012

Ratlose Bloggerin

Seit mehr als zehn Jahren blogge ich. Ich kann gar nicht mehr anders. Wenn es das Bloggen nicht gäbe, müsste man es für mich erfinden.

Nun stehen Blogger ja stets unter Narzissmus-Verdacht. Wer sich "eine halbe Stunde durch das Online-Meer der Blogs und Tweets kämpft ... stösst auf Tausende von Menschen, die von ihrer eigenen Person fasziniert sind und nach Aufmerksamkeit schreien", schreibt etwa Sarah Bakewell*.

Ich glaube aber, dass die gute Blogs weit mehr sind als Selbstbespiegelung der Autoren. Für mich sind gute Blogs die Fortsetzung der Schriftstellerei in einem relativ neuen Medium. Gute Blogger halten ihren Spiegel nicht vor ihr Gesicht. Sie halten ihn von ihrem Standpunkt aus der Welt hin. Und dann erzählen sie einem Blinden, was sie sehen.

Alles paletti, oder?

Mitnichten. Mehr Sorgen als der Narzissmus-Verdacht macht mir etwas ganz anderes: Das Internet ist relativ neu, aber es wandelt sich rasend schnell. Bloggen scheint heute hoffnungslos veraltet. Alle Blogs haben massiv Leser verloren, auch meiner. Twoday scheint vor sich hinzudämmern. Facebook war vor zwei Jahren der grosse Hype - jetzt hat es seinen Zenith überschritten. Ist Twittern der neue Hype? Ich weiss es nicht. Es interessiert mich nicht.

Aber ich frage mich oft: Wie soll es mit meinem Blog weitergehen? Ist twoday noch der richtige Ort? Soll ich überhaupt noch bloggen? Ich bin ratlos.

* zitiert aus Richard Sennett: "Zusammenarbeit", Hanser Berlin 2012, S. 44
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