31
Jul
2012

Schnaps, Brot und Käse

"Was wünschst Du Dir aus der Innerschweiz, fragte ich meine Freundin Dora. Wir wollen sie bald an ihrem Wohnort im Kanton Jura besuchen, und ich wollte ihr eine kulinarische Spezialität aus Luzern mitbringen. "Käse oder Schnaps?" fragte ich - für beides ist die Zentralschweiz bekannt. Es ist hier bergig, das Klima eignet sich nur für Milchwirtschaft und den Anbau frostharten Obstes. Und weil die Bauern der Gegend nicht alle von sich aus lockere Zungen haben, wird die Träsch*-Flasche auf dem Land noch heute oft ebenso selbstverständlich zum Kaffee gereicht wie die Zuckerdose.

Dora war unbeeindruckt. Sie liess mich wissen, Käse und Schnaps gäbe es bei ihr in Hülle und Fülle - kein Wunder, der Jura ist ebenso bergig wie die Innerschweiz. "Es sei denn, Du hättest eine Quelle für Quittenschnaps. Den habe ich hier bislang vergeblich gesucht", schrieb sie.

Quittenschnaps. Nun gut. Ich hatte bislang lediglich geahnt, dass man aus Quitten auch Schnaps brennen kann. Aber Dora sollte ihren Quittenschnaps haben. "Heute gehe ich zum Schubi und zum Habi", verkündete ich Herrn T. zum Frühstück. "Schubi und Habi?" fragte Herr T. Er fand das nicht witzig. Herr T. ist eben ein Auswärtiger, genauer, ein Zürcher. Er kennt den Schubi und den Habi nicht. Ich erklärte ihm: "Der Schubi ist einfach eine - renommierte - Weinhandlung an der Luzerner Bernstrasse. Auf ihm ruht meine Hoffnung auf Quittenschnaps. Und der Habi ist die Bäckerei mit dem etwas verblichenen und abgasgebräunten Wandbild** gleich neben dem Schubi."

DSCN0449

Und: Wer den Schubi und den Habi kennt, vermittelt dem ortskundigen Zuhörer, dass er ein Ortskundiger ist. Ausserdem klingt das lustig, es ist gewissermassen konkrete Luzerner Minimalpoesie. Sie klingt noch lustiger, wenn man den Produkten des Hauses Schubi etwas übermässig zugesprochen hat.

Dann machte ich mich auf an die Bernstrasse - auf die Suche nach dem Destillat der süssen Früchte. Es war ein wunderschöner Sommermorgen, und es wurde ein kurzer, aber entdeckungsreicher kulinarischer Spaziergang. Die Schilderung folgt.

* Obstbranntwein aus Birnen und Äpfeln
** Den abgebildeten Bäcker links bitte ich um Entschuldigung dafür, dass ich auf dem Bild seinen Kopf abgeschnitten habe. Die Lichtverhältnisse liessen nichts anderes zu.

29
Jul
2012

Der Millionär

Kürzlich hatte ich einen merkwürdigen Traum. Ein Millionär hielt um meine Hand an. Ein liebenswerter Mann, gut aussehend - und ich meinte mich zu erinnern, dass er manchmal ein entzückendes, ironisches Blitzen in den Augen hat. Diesmal nicht. Er meinte es ernst. Den Seinen gibts der Herr im Schlaf.

Ich weine selten im Schlaf. Aber diesmal brach ich umgehend in Tränen aus. Zuerst waren es Tränen der Erleichterung. Ich sah meine Sorgen, diesen mächtigen Berg. Seine gesamte obere Hälfte löste sich mit einem leisen "puff!" in Nichts auf.

Aber dann geschah etwas merkwürdiges. Ich begriff: Ich weinte um mich selber. Plötzlich sah ich mein altes Ich aus zwei Metern Entfernung. Ich sah ein zähes Persönchen. Eine Frau, die im Glauben gelebt hatte, die Welt durch ihre Arbeit ihres Kopfes irgendwie bereichern zu können. Dass das die ehrbarste Art wäre, eine Existenz aufzubauen. Ich sah eine Frau, die zehn Jahre in das Wohlergehen eines Unternehmens gesteckt hatte - mit Hassliebe und wechselndem Erfolg. Manchmal war sie gestrauchelt. "Macht nichts", hatte sie sich dann gesagt, stand auf, wischte sich den Dreck von den Knien und machte weiter. Frau Frogg war keine Frau, die sich in die Obhut eines Ehemannes begibt. Und: "Wenn Dich die Kräfte verlassen, werden die Sozialversicherungen Dich raushauen", hatte dieses Persönchen geglaubt - wir leben schliesslich in einem Rechtsstaat. Und jetzt? Die Glaubenssätze Makulatur? Die Arbeit nichtig? Das zähe Persönchen Vergangenheit?

Schnell wachte ich auf.

25
Jul
2012

Gesunde sind dämlich

Frau Frogg ist an sich eine ziemlich mitteilsame Natur. Aber eins lernt sie allmählich: Gewissen gesunden Mitmenschen gegenüber ihr Ohrenleiden gar nicht erst zu erwähnen - auch wenn es an schlechten Tagen die Gefahr von Verständigungsproblemen erhöht. Aber sehr viele Gesunde können mit sowas nicht umgehen. Sie sagen dann Dinge wie: "Tja, das musst Du jetzt halt einfach akzeptieren." Da kann ich nur sagen: Sorry, aber wenn mir das ein kerngesunder Mensch mit einer grossen Eigentumswohnung und einem neuen Auto in der Garage sagt, dann bekomme ich Schaum vor dem Mund! Ich bin ja mit Taubheit geschlagen, nicht mit Blödheit. Ich habe schon vor einer Weile begriffen, dass ich meine sich anbahnende Ertaubung "einfach akzeptieren muss" - mit sämtlichen Nebenwirkungen. Aber die meisten Gesunden, die sowas absondern, haben keine Ahnung, was das bedeutet. Und sie wollen es auch gar nicht wissen.

Wobei: Es gibt auch Ausnahmen. Ich habe zum Glück ein paar gute Freunde, die einfach zuhören können. Und dann gibt es noch diejenigen, die mich schon in verzweifelten Momenten erlebt haben - und die dann einfach zugeben, dass sie auch ein bisschen hilflos sind. Weil sie ja auch nicht wissen, wie man in Würde taub wird. Woher sollten sie auch?

Und zum Glück habe ich meine neue Freundin Zelda, die seit einem schweren Unfall vor 15 Jahren an zwei Stöcken geht. Nicht, dass wir einander bei unseren Treffen abendfüllende Jeremiaden über unsere Leiden herunterleiern. Das ist gar nicht nötig. Neulich erzählte ich ihr, ich hätte im Kino den Film über Bob Marley gesehen. "War er gut?" fragte sie. "Ja, sehr gut", sagte ich und sagte ein paar - hoffentlich kompetente - Dinge über Dokumentarfilme und darüber, dass Bob Marley eine - vielleicht zu Unrecht fast vergessene - Ingedienz meiner Jugend war. Dann fügte ich hinzu: "Und der Film ist wunderschön vertont, und ich hatte einen Tag, an dem ich sehr gut hörte. Es war so schön! So schön!" Da sah ich, wie sich ein Muskel in ihrem Gesicht bewegte und wusste: Sie verstand. Sie verstand die ganze verdammte Geschichte, ohne ein weiteres Wort.

21
Jul
2012

Der Sound des Tessins

Eins gleich vorweg: Ferien sind nichts für meine Ohren. Schon in der Woche vor unserer Abreise liess mein Gehör nach - die Aufregung. Und es erholte sich eigentlich nie ganz richtig. Vielleicht gerade deswegen verzückten mich jene Geräusche des Tessins geradezu, die ich noch hören konnte:

- Dieses rhythmische Knistern, wenn der Abendwind die fingrigen Blätter der Palmen neben unserem Haus aneinander rieb

- Den Schrei des Eichelhähers. Nie habe ich so viele Eichelhäher gehört wie diesen Frühsommer im Tessin. Eichelhäher - die Warner im Walde. Vielleicht braucht es im Tessin so viele, weil sie die anderen Tiere über die Belegung der Ferienwohnungen auf dem Laufenden halten müssen

- Das Wegzucken der Eidechsen am Wegrand. Und es gab nicht nur Eidechsen. Einmal hörte ich ein besonders fettes Raschelnam Wegrand. "Das war zu laut für eine Eidechse!" dachte ich, als Herr T. hinter mir einen Schreckensruf ausstiess. Eine schwarze Schlange war schnell wie ein Blitz zwischen uns über den Weg gezuckt. Ich selber sah sie nicht - und in der Erinnerung von Herrn T. wurde sie bei jedem Erzählen ein bisschen länger, bis gegen 70 Zentimeter.

- A propos Treppen: An den steilen Hängen über Locarno gibt es viele Treppen mit langen Tritt-Abständen. Der Abstieg erforderte oft kleine rhythmische Manöver mit den Beinen - vor allem, wenn man - wie Frau Frogg - nicht immer das gleiche Knie belasten wollte. Als ich eine Zeitlang wieder Musik hören konnte, entwickelte ich - wahrscheinlich deshalb - ein lebhaftes Interesse für Breakbeats wie in diesem Song:



- In einem Bergrestaurant ertappte ich mich aber auch einmal dabei, wie ich fasziniert dem Singsang einer Tessiner Mandoline auf und ab folgte - es war so etwas in dieser Art - so etwas hätte ich früher schnöde ignoriert.

18
Jul
2012

Der Hund und das Reh

Unsere Ferienwohnung lag ganz am Rand eines Ferienwohnungs-Hangs - Mitte Juni ein Geisterhang. Die Häuschen selber waren gepützelt und gepflegt - aber die Besitzer meist nicht da. Zwischen Gartentischen und Swimming Pools breitete sich die Natur aus. Doch der Hochsommer nahte, allmählich forderten die Menschen ihre Zweitwohnungen ein - und brachten ihr ganzes, lärmiges Drum und Dran mit.

Am ersten Abend waren wir fast allein im Haus. Als ich auf dem Balkon stand, sah ich plötzlich den Rehbock. Nur wenige Schritte von unserem Balkon entfernt zupfte er am hohen Gras unter der Palme. Er war gekommen wie ein Geist. Ich brauchte nicht einmal meine Brille, um die drei Zacken seines Geweihs zu sehen. Noch nie hatte ich ein wild lebendes Reh aus so kurzer Distanz gesehen. Ich stand stockstill und schaute mit grossen Augen dem Tier zu. Es sah mich nicht - oder fürchtete mich nicht.

Plötzlich kläffte ein Hund. Ich suchte mit den Augen noch die nahe Lärmquelle. Da war der Bock schon weg. Noch bevor ich das "wusch!" eines Palmwedels hörte, den das Tier beim Sprung ins nahe Wäldchen gestreift hatte.

Auf dem Parkplatz neben unserem Haus stand Bello und starrte den Waldrand an. Er war mit neuen Feriengästen gekommen. Diese hatten die Szene nicht einmal ahnungsweise mitbekommen. Einmal mehr ärgerte ich mich über die Ignoranz von Hundehaltern. Sie kamen, blieben zwei Nächte und zogen dann mit ihrem Wauwau wieder ab. Bis der Rehbock wieder kam, dauerte es zehn Tage.
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