12
Jun
2012

Fernseh-Tipp

Mrs Bennet ist eine strohdumme und total überdrehte Frau. Klar, sie ist auch in einer ungemütlichen Situation, das begriff ich sogar als junge Studentin, wenigstens in der Theorie: Fünf Töchter muss sie unter die Haube bringen. Denn ihr Mann kann ihnen nichts vererben, weil sie Mädchen sind. Und wir schreiben hier ein Jahr so um 1800. Das heisst: Die Mädchen werden nie für sich selber aufkommen können - oder nur als unterbezahlte und belächelte Gouvernanten. Aber deshalb müsste sich die Frau doch nicht so hysterisch aufführen! Und sie müsste ihre Töchter nicht gleich an jeden dahergelaufenen Idioten verschachern wollen.

Einige Leserinnen werden bereits ein Aha-Erlebnis gehabt haben: Die Rede ist hier von Mrs. Bennet aus "Pride and Prejudice" - zu Deutsch Stolz und Vorurteil - dem Meisterwerk von Jane Austen. Arte zeigt jeweils donnerstags eine sechsteilige BBC-Verfilmung der Geschichte von 1995 (leider synchronisiert). Sie war für Anglophile jahrelang Kult*.



Ich habe sie etwa 2003 schon mal gesehen - zusammen mit meiner Freundin Helga, alle sechs Folgen einem regnerischen Sonntag vor ihrem DVD-Gerät. Es war grossartig. Wir assen Sushi und Konfekt und diskutierten über den Konflikt der klugen Elizabeth, der ältesten Bennet-Tochter. Und schwärmten für den im Film noch jugendlichen Colin Firth (Mr. Darcy).

Mutter Bennet behandelten wir unter ferner liefen. Sie war für uns nichts weiter als eine Karikatur. Aber ich muss gestehen: Diesmal bringe ich plötzlich Verständnis für sie auf. Sie hat Angst davor, dass ihre Kinder sozial absteigen - eine Angst, die man vielleicht erst ab einem gewissen Alter versteht. Ihr Mann lässt sie damit allein: Mr. Bennet begegnet seiner eigenen Ohnmacht mit Sarkasmus - und mit einem Mangel an Verlässlichkeit, der seine Frau zusätzlich auf die Palme treibt. Als junge Leserin liebte ich ihn für seinen Witz. Aber, glaubt mir, ich habe diesen Witz mittlerweile anderswo sehr gut kennen gelernt. Intelligentere Frauen als Mrs Bennet haben sich an einem Mr. Bennet die Zähne ausgebissen. Und ich ahne mit wachsender Lebenserfahrung, welche Ängste die Frau sonst noch umtreiben: dass sie selber im Alter nicht versorgt sein wird. Und dass da draussen ein kleiner, aber brandgefährlicher Franzose namens Napoleon die Welt unsicher macht.

Es ist eine Stärke dieser Verfilmung, dass sie Mrs. Bennet zwar ihre dämliche Geschwätzigkeit lässt - und ihre Sorgen doch verständlich macht. Eine von vielen Stärken.


* Wer die ersten beiden Folgen verpasst hat, kann sie am kommenden Mittwoch um 14.40 Uhr nachgucken.

9
Jun
2012

Unbeschreibliches Glück

Ich höre besser. Seit ein paar Tagen kann ich wieder Musik hören. Manchmal nur morgens auf dem Weg zur Arbeit. Manchmal tagsüber ein paar Stunden lang - danach ersaufen die Bässe wieder im Tinnitus. Aber wenn ich Musik hören kann, erfüllt mich ein unbeschreibliches Glücksgefühl. Auch wenn ich weiss: Vielleicht ist es bald wieder vorbei damit.

6
Jun
2012

Straflager für Asylbewerber

Die Schweizer Rechtsnationalen (SVP) fordern neuerdings Internierungslager für straffällige Asylbewerber. Dazu möchte möchte ich hier nur festhalten: Ein solches Lager hatten wir schon mal, während des Zweiten Weltkriegs - das Straflager Wauwilermoos im Kanton Luzern. Es hat es eine unrühmliche Geschichte. Unter den Insassen hiess es "das schweizerische Konzentrationslager".

Wer sich dafür interessiert, sollte sich diesen Radio-Beitrag anhören. Hier die wesentlichen Punkte, angereichert mit Ergebnissen meiner eigenen Recherchen:

- Die Internierten waren straffällig gewordene oder alkoholkranke Polen, Russen und Franzosen, ferner Amerikaner und Deserteure aus den deutschen Streitkräften. Warum man Alkoholiker in ein Straflager steckte, ist heute unverständlich. Ebenfalls schwer nachvollziehbar ist, warum man deutsche Deserteure strafte. Die Deutschen waren doch die Bedrohung für die Schweiz. Man hätte jeden Deserteur belohnen müssen! Und die Amerikaner wurden eingesperrt, wenn sie versuchten, sich über die Schweizer Grenze zu den alliierten Truppen abzusetzen. Also dann, wenn sie dem Befehl ihrer Offiziere folgten - um der Schweiz die Deutschen vom Hals zu halten. Aber eben - wir hatten rundum Krieg, die Schweiz war ein neutrales Land. Und sie hatte Angst vor den Deutschen. Das muss wohl als Erklärung reichen.

- Das Lager bestand aus 22 Holzbaracken. Die Schlafsäle waren ungeheizt. Die Internierten schliefen auf schmutzigem Stroh unter einer dünnen Wolldecke. Es gab massenhaft Ungeziefer. Durch die Mitte des Raumes lief ein stets schmutziger Latrinengraben. Der Gestank im Lager soll höllisch gewesen sein.

- Das Lager und einzelne Baracken waren mit Stacheldraht umzäunt. Wächter patrouillierten mit Furcht einflössenden Hunden.

- Zu Essen gab es viel zu wenig. Die Häftlinge wurden "ernährt wie Schweine aus dem Trog", schreibt der ehemalige Insasse Charles Bergmann. Die Rede ist von wässrigem Kakao und dünner Suppe, selten mit kleinen Fleischstücken angereichert.

- Die Internierten sollten bei den Bauern der Gegend auf den Feldern arbeiten. Doch wie ich aus mündlicher Quelle erfahren habe, mieden die Landwirte das Lager: Man hatte von den Zuständen dort gehört, und der Lagerleiter soll gern über frisch bestellte Felder ausgeritten sein - das machte ihn unbeliebt. So hatten die Gefangenen meist keine Arbeit und vertrieben sich die Zeit mit Herumhängen, Schlägereien und Besäufnissen - Alkohol war im Schwarzhandel mit korrupten Wärtern leicht erhältlich.

- Diese Zustände forderten Opfer: Ein Häftling verlor bei einer Rauferei sein Leben. Ein Wärter erschoss ihn. Der Vorfall ist im Bundesarchiv Bern gut dokumentiert. Ein anderer Insasse, der amerikanischer Fliegeroffizier Daniel Culler, wurde Nacht für Nacht von seinen Mithäftlingen vergewaltigt, geschlagen und in den Latrinengraben geworfen. Wenn er sich bei der Lagerleitung beklagte, wurde er in Isolationshaft gesteckt. Culler erkrankte schwer, verliess das Lager bewusstlos und kam erst im Spital in Luzern wieder zu sich. 1995 entschuldigte sich der damalige Bundespräsident Kaspar Villiger bei ihm.

- Der Lagerleiter, André Béguin, war inkompetent, ein Sadist, ein Hochstapler und ehemaliges Mitglied einer nationalsozialistischen Partei. Er wurde - erst - 1946 wegen verschiedenster Vergehen wie Betrug, Veruntreuung, Fälschung dienstlicher Akten oder Nichtbefolgens von Dienstvorschriften zu dreieinhalb Jahren Zuchthaus verurteilt.

- Heute will sich kein Mensch mehr an das Lager erinnern. 2007 stellte ich als Journalistin Nachforschungen darüber an. Es gab nicht einmal jemanden, der mir Auskunft über die genaue Lage des Lagers machen konnte. Im Bundesarchiv sind jedoch die Zustände dort recht gut dokumentiert.

Wollen wir so etwas nochmals? Lieber nicht.

3
Jun
2012

Verkehrslawinen

Bei meiner Wanderung nach Norden verliess ich Eich auf dem Römerweg - siehe linkes Bild. Rechts sieht man, was aus dem alten Weg geworden ist:

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Allerdings sieht man es nicht in Eich selber, sondern erst etwas nördlich, bei Schenkon. Denn die viel befahrene Nord-Süd-Achse A2 unterquert Eich in einem Tunnel. Geplant war 1971 ein Viadukt. Doch die Eicher rebellierten mit Erfolg gegen diese Zerstörung ihrer Landschaft - zu gerne wüsste ich, wie sie das hingekriegt haben. Sie ersparten sich viel Lärm und schlechte Luft.

Denn die A2 ist eine der Hauptverkehrsadern der Schweiz. Sie führt von Basel nach Chiasso und trägt nebst viel Binnenverkehr eine Menge Warentransporte von Nord- nach Südeuropa. Zu manchen Tageszeiten kann man hier wahre Elefantenkarawanen beobachten - wenn auch nicht auf dem Bild: Wahrscheinlich hatten sämtliche Chauffeure gerade Mittagspause, als ich vorbeikam. Vergleicht man die A2 mit den Brenner, so ist der Nord-Süd-Lastwagenumsatz allerdings zugegebenermassen geradezu gering, wie dieser Bericht verdeutlicht. 2007 rollten 6,5 Millionen Lastwagen durch den Brenner. Auf allen Alpenübergängen der Schweiz waren es lediglich 1,26 Millionen - ein geschätztes Drittel kutschiert an Schenkon vorbei. Ich möchte nicht am Brenner wohnen.

Wobei ich nicht behaupten möchte, dass Schenkon sehr am Lärm leidet. Es gilt immer noch als eine der besseren Wohngegenden im Kanton. Im Ranking der steuergünstigsten Gemeinden des Kantons liegt es gar auf Platz 2 - hinter (natürlich) Meggen und vor (natürlich) Eich.

Ich blieb aber nicht, sondern erreichte bald das Städtchen Sursee. Es liess mich sofort sämtlichen Autobahnlärm vergessen. Sursee hatte lange Zeit den Ruf eines verschlafenen Provinzkaffs. Heute soll es die Wirtschaftslokomotive des Kantons sein. Jedenfalls sieht es an einigen Stellen so aus, als wäre es vor 80 Jahren in einen Dornröschenschlaf gefallen - bis vor zwei, drei Jahren plötzlich das 21. Jahrhundert hereinbrach.

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Schlagernacht

Am Freitag standen meine Kollegen von der Lokalredaktion mit ratlosen Gesichtern herum. Die Reporterin für die Schlagernacht in der städtischen Messehalle war ausgefallen. "He, Frau Frogg, das wäre doch ein Auftrag für Dich! Könntest Du nicht für uns an die Schlagernacht gehen?!" rief Kollege Schiri, als ich zufällig vorbeiging. Er meinte es natürlich ironisch. Es ist nicht einmal ein offenes Geheimnis, dass Frau Frogg nicht der Typ für Schlagernächte ist. Das weiss man einfach.

Ich drehte mich um und lachte. "Natürlich, da gehe ich gerne hin! Aber nur, wenn ich einen sehr schwerhörigen Tag habe!"

Alle lachten, ich auch.

Ich war froh. Ich kann im Büro Witze über meine Krankheit machen. Wir machen Fortschritte.

1
Jun
2012

Du bist schön!

Neulich verschlug es mich schon wieder an eine Goldküste - diesmal am Zürichsee. Ein Steuerparadies. Seit den neunziger Jahren herrscht hier explosionsartige Bautätigkeit. Der Ort ist reine Agglomeration. Wenn er ein Gesicht hat, dann habe ich es nicht gesehen. Sondern nur das hier.

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Ich spazierte von Bahnhof hinunter Richtung See. Es war ein heisser Tag, und als ich zu einer Sportanlage kam, hatte ich genug. Ich brauchte etwas zu trinken. Der Sportplatz war offen. Ich ging hinein, bestellte ein Wasser und suchte die Damentoilette auf. Vor den Spiegeln drängelten frisch erblühte Sport-Prinzessinnen mit zarten Wangen, brünetten Locken bis zu den Hüften und T-Shirts in der Siegerfarbe des Gemeindewappens.

"Du bist schön, Kiki!" hörte ich eines der Mädchen rufen, als ich in der Kabine war.

Sie klang wie ein entnervter Teenager. Vielleicht besetzte Kiki schon zu lange mit dem Lidstift in der Hand einen Platz vor dem Spiegel. Vielleicht brauchte Kiki Bestätigung, dass ihr Lip Gloss die richtige Farbe hatte. Aber die Stimme des Mädchens war noch mit etwas anderem aufgeladen, mit etwas sehr Intensivem. War es echte Bewunderung? Begehren? Ich werde es nie wissen. Aber ich habe den Satz lange in mir nachklingen lassen.
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