10
Okt
2010

Jeder braucht jemanden

Ich weiss nicht viel über ihn. Aber eins weiss ich: Solomon Burke war ein grossartiger Songschreiber. Deshalb will ich hier gebührend Abschied von ihm nehmen. Denn die schwergewichtige Soul-Legende ist gestorben. Ich habe es eben am Radio gehört.

Solomon Burke hat einen Song komponiert, den die Rolling Stones zu einem Juwel meiner Jugend gemacht haben.



Noch als 20-Jährige liebte ich das penetrante, schleppende Bassriff. Ich liebte sogar die Stimme von Mick Jagger, die mir sonst nicht viel bedeutet. Ich liebte den Sprechgesang, das Geheul, den rauen Refrain.

Wie so vieles von anno dazumal schafften es die Stones mit diesem Song nicht bis in meine CD-Ära. Als nächstes begegnete ich ihm in einer flotten Version der Blues Brothers. Der gleichnamige Film der Band wurde in den späten achtziger Jahren in der Schweiz überraschend zum Kultfilm.



Aber schon diese Version lässt das Missbrauchs-Potenzial des Songs ahnen: Live eignet er sich bestens zur Publikums-Anmache nach dem Motto: "Jeder braucht jemanden zum Liebhaben. Wir brauchen Dich und Dich und Dich!" Im Film kommt das noch ein bisschen ironisch herüber. Die Band begrüsst ja auch die Polizisten, die sie festnehmen wollen. Aber wer die Live-Aufnahmen des Songs auf YouTube durchguckt, merkt: Meistens wirkt das nur plump.

Da ist die Studio-Version der Stones aus meinem Geburtsjahr 1965 etwas ganz anderes! Sie brachte für Teenager Frogg eine simple und zugleich höchst komplexe Wahrheit auf den Punkt. Ja, ich brauchte jemanden zum Liebhaben. Aber manchmal hatte das himmelschreiende Konsequenzen. Heulende Konsequenzen. Und der Song warf eine Frage auf: Ist das wirklich für alle so? Er war wie ein intimes Zwiegespräch zwischen mir und Mick.

Das ist alles lange her. Aber dennoch: Danke Mick. Und: Danke Solomon!

9
Okt
2010

Unten grau, oben blau

Man sollte potenzielle Schweiz-Reisende nicht die Lust auf unser Land vergällen. Aber, sorry, ich kann es nicht lassen und erzähle es jetzt doch: Wieder einmal hat sich herbsttypisches Hochdruck-Wetter über unsere Städte gelegt. Es lässt die Schweizer Niederungen überall etwa so aussehen.

DSCN1860
(heute morgen, irgendwo im Mittelland)

Gut zu sehen auf dem Bild: der graue Schleier, der über allem liegt. Man nennt ihn Hochnebel. Manchmal bleibt er wochenlang liegen. Denn die Wetterlage, die ihn heranbringt, ist eine der Stabilsten, die es hier in der Gegend überhaupt gibt. "Sie hält sich pro Jahr ungefähr sechs Monate lang", behauptet mein Kollege Fröhlich. Aber das ist böswillig übertrieben. Denn gelegentlich zieht das Hoch ab. Dann hellt es einen halben Tag lang auf. Und dann folgen mehrere Tage Dauerregen oder -schneefall. Bis sich ein neues Hoch etabliert hat.

Man sollte sich dennoch nicht von einer Herbstreise in die Schweiz abhalten lassen. Denn zu dieser Jahreszeit kann man hierzulande Zeuge eines merkwürdigen Phänomens werden: einer stillen Völkerwanderung. Am Samstagmorgen schlafen Herr und Frau Schweizer nicht aus. Nein. Wer kann, steht beizeiten auf, zieht Sportbekleidung an und macht sich auf den Weg zur nächsten Bergbahn. Es zieht uns an solchen Tagen in die Höhe. In hellen Scharen. Wer Drängeleien nicht scheut, sollte es uns nachtun. Ab 1000 Metern über Meer erwarten ihn ein blaues Wunder und das Nebelmeer.

DSCN1875
(heute Mittag, Fräkmüntegg)

8
Okt
2010

Kein besseres Leben

Eigentlich wollte ich ja damit angeben, dass ich seit meinem Hörsturz ein besseres Leben habe. Dass ich ein bisschen besser weiss, worauf es ankommt. Ich hatte Feierabend und war dabei, in meinem Kopf eine Geschichte darüber zu komponieren. Es war 16 Uhr. Draussen schien die Sonne. Schön, ich kann jetzt hinausgehen, dachte ich. Ich ging an den Jungs vom Newsdesk vorbei. Die diskutierten gerade aufgeregt. Steve Lee war gestorben. Der Job meiner Kollegen war es, das Unglück bis Mitternacht angemessen ins Blatt zu rücken.

Ich hörte Wortfetzen. Ich spürte das Adrenalin in mir hochschiessen. Steve Lee hatte ich nur dem Namen nach gekannt. Aber so eine Geschichte... Da schlägt das Herz von Newsjunky Frogg ein paar Takte schneller. Für so ein Ereignis will ich die richtigen Worte finden. Einschätzungen. Will aufgeregt mitdiskutieren. Will etwas zu melden haben.

Ich erinnerte mich an meinen letzten nennenswerten Einsatz am Newsdesk. Es war an jenem Sonntag letzten Herbst, als Roman Polanski in Zürich verhaftet wurde. Ich erinnere mich daran, wie die ersten Agenturmeldungen hereinliefen. Wie mir der Kiefer runterklappte. Wie sogar wir beinahe einen Momant lang sprachlos gewesen wären. Da trifft Dich in der Redaktionsstube das Jetzt wie ein Gongschlag. Da spürst Du, wie die Zeit Dich mitreisst, ein mächtiger, schneller Strom.

Nachher wurde ich krank. Seither ist mein Leben eigentlich langweilig. Sterbenslangweilig. "Was will ich an der Sonne?" dachte ich. Was hätte ich dafür gegeben, in jenen Stunden am Desk zu sitzen!

Naja... ähm... viel hätte ich dafür gegeben. Aber nicht mein Gehör.

4
Okt
2010

Allein in den Bergen

Ich habe den Aufstieg geschafft. Vor mir liegt eine geradezu psychedelisch grüne Wiese. Mein Rücken ist bachnass, aber ein heisser Wind streicht mir über die Hände. Der Föhn. Es ist unglaublich blau hier oben, unglaublich gelb und weit weg liegt der Schnee auf den Berner Alpen wie Schlagrahm auf einer göttlichen Süssigkeit.

Ich bin auf der Alp Emmetti ob Lungern, 967 Meter über Meer, es ist etwa 14.15 Uhr.

Warum ich hierher gekommen bin? Nun, zwei Gründe.

1) Eines der beiden Kilos, das ich im letzten Jahr angesetzt habe, ärgert mich. Ich will es mir wegsporteln.

2) Dieser Marsch ist auch eine Etüde in Genügsamkeit. Noch kann ich es mir im Prinzip leisten, ins Ausland zu reisen. Aber ich weiss nicht wie lange noch. Ich will mir beweisen, dass man auch mit einem kleinen Budget Ausflüge machen kann, die sich wie eine richtige Reise anfühlen.

Ich bin von Giswil her auf einer Kiesstrasse hochgestiegen. Tief unter mir die Ebene der oberen Sarner Aa. Manchmal gelang es mir, meine Gedanken wie einen Vorhang vor meinen Augen wegzuziehen. Dann wurde mir bewusst, wie mächtig die Bäume rundum waren. Wie enorm sich das anfühlt: Frau Frogg mutterseelenallein in den Bergen.

Ich stieg die letzten Schritte bis zu den beiden Alphütten hinauf. Im Süden sah ich jetzt die drei Wetterhörner, düster umwölkt.


(Quelle: www.swissworld.ch; meine eigene Kamera macht gerade schlapp).

Die Alphütten liegen verlassen da. Leer. Ein Windstoss drischt über die Wiese. Plötzlich habe ich einen Anflug von Sennentuntschi-Horror. Mir fällt die Stelle in der Geschichte ein, an der die Sennen im Herbst von der Alp abziehen. Das lebend gewordene Puppenmonster ist bei der Hütte geblieben und hat einen der drei dabehalten. Als sich die beiden anderen noch einmal umblicken, sehen sie das Tuntschi auf dem Dach: Es zieht gerade ihrem Kollegen die Haut ab.

Nach dem Bettag soll man nicht mehr in die Berge gehen, sagt Herr T. Der Bettag war am Sonntag vor einer Woche. Ich habe hier nichts verloren. Ich mache, dass ich vom Berg hinunterkomme. Beim Abstieg wird mir schwindlig.

Unten im Tal spielt der Lungernsee Mini-Mittelmeer.


(Quelle: www.sengers.ch)

Der sonst so stille See hat eine Brandung und Schaumkrönchen. Der Föhn peitscht ihm über die Haut. Ein einsamer Surfer zischt pfeilschnell über den See.

Zu Hause sitzt Herr T. über seinen Computer gebeugt. "Was?! Auf 967 Metern warst Du?! Das ist doch gar kein Berg. Das ist bloss ein Hügel!"

3
Okt
2010

Drei Monate zu leben II

Um die Diskussion von neulich weiter zu führen: Das würde ich tun, wenn ich noch drei Monate zu leben hätte (immer vorausgesetzt, ich hätte die Kräfte dazu).

1) Ich würde die Beseitigung meiner sterblichen Überreste organisieren.

2) Ich würde meine finanziellen Angelegenheiten regeln und ein Testament machen.

3) Ich würde möglichst viel von meinem Kram weggeben. Das eine oder andere würde ich verschenken (wenn es denn jemand möchte). Den Rest würde ich ins Brockenhaus bringen, wenn möglich sogar schon ein paar Möbel. Ich habe neulich meine Mutter darüber klagen hören, wie anstrengend es war, die Wohnung meiner Grossmutter zu räumen. Ich möchte nicht, dass sich jemand mit meinem Kram allzu viel zumuten muss.

4) Ich würde ein paar alte Freunde treffen und mich von ihnen verabschieden. Keine kitschigen Anlässe. Einfach da und dort ein Treffen, ein Mittagessen, eine Tasse Tee.

5) Ich würde mich hinsetzen und Musik hören.

Bei all den Diskussionen in den letzten Tagen habe ich die Antwort auf eine Frage offen gelassen: Wie stelle ich mir ein gutes, ein richtiges Leben vor? Der schüchterne Versuch einer Antwort nächstes Mal.
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