luzern, luzern

22
Dez
2004

Einkaufsrummel

Szene im Bus. Die Nummer 19 fädelt sich gerade in den Verkehr am Denkmalplatz ein.



Draussen im Bushäuschen neben der Bank steht eine einsame Migros-Tüte.

«Können Sie bitte anhalten!!!???» ruft eine ältere Frau nach vorne. «Ich habe meine Tasche stehen lassen!»

«Hallo!!!» liefert ungeduldig ein Mann hinten nach.

Der Busfahrer hält, die Frau hechtet hinaus, so gut sie das kann. Dann knallen die Türen zu, der Bus fährt ab.

Der nächste wird in 20 Minuten kommen.

«Das darf ja wohl nicht wahr sein», ruft eine Frau hinter mir halblaut.

Philemon Frogg sagt: «Also, der hätte jetzt wirklich warten können.» Ich antworte: «Aber Du weisst doch, Philemon! Der Chauffeur muss seinen Fahrplan einhalten. Und so, wie er jetzt steht, verursacht er sowieso einen Verkehrsstau. Stell Dir das Hupkonzert vor, das gleich eingesetzt hätte.»

Die Frogg seufzt.

Dann sagen wir beide gar nichts mehr.

17
Dez
2004

Asterix-Wetter

Wir haben hier Wetter wie in «Asterix bei den Briten». Der Nebel hat sich aufgelöst. Bald wird es regnen (oder gar schneien). Aber so einen richtigen Wintersturm in der Höhe, das kriegt Asterix nur in Helvetien!

8
Dez
2004

Hirschhorn-Protest

Bitte, kann mir hier jemand sagen, wo ich demonstrieren kann? Ganz schnell??!! Ich will dringend und unbedingt protestieren – gegen den Pro Helvetia-Entscheid des Ständerates.

Ich bin zwar seit Jahren aus dem Demo-Alter raus. Ich meine, mit den Jahren wird einem das Rumstehen auf dem Bundesplatz in Bern zu blöd, vor allem im Winter. Die Jungen sollen das machen. Aber beim Hirschhorn-Entscheid, da mache ich eine Ausnahme!

Den hält man ja im Kopf nicht aus!

Erstens, weil die Partei des besagten Bundesrates Blocher seit mehr als zehn Jahren das politische Klima in diesem Land vergiftet. Auch mit Mitteln der darstellenden... äh... Kunst (?). Der letzte Schrei: Ein Plakat, auf dem braune Hände nach dem Schweizer Pass greifen, zur kürzlich erfolgten Abstimmung über das Einbürgerungsgesetz. Ich werde es Euch hier nicht zeigen, denn sowas hat auf meiner Seite keinen Platz. Aber ja, klar, so bald ein Künstler kommt und dieses Politikerpack mit ähnlichen Mitteln kritisiert, werden die Schweizer Künstler sofort kollektiv abgestraft.

Zweitens, weil sich die Frogg jetzt wieder zehn Jahre lang die Klagen der Kulturschaffenden wird anhören müssen. Versteht mich bitte richtig: Ich habe nichts gegen Kulturschaffende. Einige meiner besten Freunde sind Kulturschaffende. Umso mehr weiss ich, wovon ich rede. Deshalb sage ich es Euch: Kulturschaffende in der Schweiz reden fast immer über Geld. Beziehungsweise darüber, dass sie nicht genug davon haben. Und wenn sie nicht über ihre Geldsorgen reden, dann reden sie über ihre Sorgen mit den Schweizer Medien. Dass sie von denen ignoriert werden. Dass Geldgeber und Medien dumm sind, weil sie das hehre Schaffen, ihr hehres Schaffen nicht wahrnehmen und nicht angemessen fördern.

Ich fürchte, wenn jetzt auch noch diese Million für Pro Helvetia wegfällt, dann wird es gar keine Diskussion mit Kulturschaffenden mehr geben, die sich nicht um Geld dreht.

Da gehe ich lieber gleich demonstrieren!!!

18
Okt
2004

Volkes Gelärm, Volkes Gestank

Die Zeiten sind schlecht. Am besten hört man das bei so genannten Randständigen. Bei den geistig Behinderten. Den psychisch Instabilen. Den Alkis. Den alten Männern, die niemand mehr will. Den Leuten, die samstags auf öffentlichen Plätzen herumhängen. In der Bahnhof-Schalterhalle zum Beispiel. Dort war ich am Samstag, um mir ein Billett nach Venedig zu besorgen.

Kaum stehe ich in Warteposition, kommt ein Alter näher. Kalkweiss, hager, stoppelbärtig. «Das Billett ist teurer», sagt er zu mir. Irrer Blick. Die Frogg will ihn nichts sehen. Sie guckt schnell in die andere Richtung, da sucht er ein anderes Opfer, murmelt halblaut und lärmt dazwischen alle paar Sekunden: «Wird alles immer teurer!» Oder: «Das müssen alles wir zahlen, immer mehr!» Groteske Fleischwerdung des Geistes, der auch in den Korridoren des Fröscher Tagblatts herrscht. Steuerrappenspalter, die Kollegen. Geprellte Mittelständler, arme Kerle mit ihren Einfamilienhäuschen, ihren Zivilpänzerli*, ihren vollen Migros-Einkaufwägeli. Wir, der geprellte Mittelstand, «alles wird immer teurer», unser Refrain, der Protestsong der frühen Zehnerjahre im neuen Jahrtausend, klingt gut informiert und kommt an.

Scheint auch der Mann mit dem Stoppelbart zu denken und setzt auf die Parole, um einen Gesprächspartner zu finden. «Wird alles immer teurer!» schreit er einen, der beim Infogestell steht, an. Wettert irgend etwas über immer teurere Autos. Als ob er kürzlich auch gerade ein Zivilpänzerli habe kaufen wollen. Der Kunde weiter drüben sagt: «Mir ist egal, ob Autos immer teuer werden. Ich habe kein Auto, und jetzt fährt gleich mein Zug!» und geht. Da nimmt der Irree die Frau am Schalter dran. «Wir alles immer teuerer», lärmt er mir über die Schulter. Sie sagt: «Bitte warten Sie, ich bin am Bedienen.»

Als der Irre endlich dran ist, kaufte er ein Billet nach Basel. Halbtax. Wahrscheinlich Verwandte besuchen. Die Angestellte hätte ihn wegschicken müssen, weil sie an ihrem Schalter an sich nur Fahrkarten ins Ausland verkauft. Aber sie nahm ihn, auf dass er endlich Ruhe gäbe, sein Geschäft erledige und die Leute woanders belästige als in der Schalterhalle des Fröscher Bahnhofs.

Man kann sich vorstellen, was die Verwandten in Zürich ihm den ganzen Tag erzählen werden. Wahrscheinlich, dass sie für alles immer mehr zahlen müssen. Und er wird dasselbe zurücklärmen. Eine fröhliche Runde.

Meine Karte nach Venedig ist ein echtes Schnäppchen. Nur 70 Franken retour.

Versteht mich bitte richtig! Ich will hier nicht über Schwache lästern. Der «für alles müssen wir mehr bezahlen»-Mann ist ist ein Opfer des Zeitgeistes. Er betet nur nach, was andere ihm vorbeten. Er hofft, damit das zu bekommen, was das Leben ihm ständig vorenthält: Aufmerksamkeit und Anerkennung. Dass gerade die würdige Behandlung von seinesgleichen etwas vom ersten ist, was den echten «alles wird immer zu teuer»-Typen wirklich zu teuer wird, ahnt er höchstens.

Bei der Bushaltestelle Denkmalplatz dringt schon wieder Altmännergelärm an Philemon Frogg's empfindsames Ohr. «...rauchfreie Schweiz! So ein Blödsinn!» brüllt einer auf der Wartebank ein paar Hausfrauen an, die mit ihren vollen Einkaufstaschen in der Nähe stehen. «Aber was die da vorne für einen Gestank rauslassen, hat sich noch nie einer überlegt!» Er wedelt mit der Hand Richtung Verkehr, der über den Platz braust. Dann lärmt er weiter: «Hören Sie, ich rauche schon seit 60 Jahren dieselbe Marke!» und zückt ein Exemplar seiner Marke, eine fette, braune Zigarre. Als er den Stumpen angezündet hat, ist er schnell mutterseelenallein.

Auch allein noch ruft der Alte weiter über den Unsinn von Rauchverboten aus. Er wird erst ruhiger, als sich eine ausgemergelte Frau mit Zigarette im Mund zu ihm setzt als wäre das die gemütlichste Sache der Welt und sagt: «Ah, Sie rauchen ja auch!»

Aber die Ausgemergelte steigt in denselben Bus wie ich. Als ich abfahre, sehe ich noch, wie der Alte schon wieder gierig nach einem Gesprächspartner linst.

Als ich jung war, drehte ein so genannt Randständiger barfuss vor dem Bahnhofeingang seine Kreise. Er sah aus wie ein Hippie. Ein anderer ging mit Plakaten voller sozialkritischer Sprüche an der Bushaltestelle Viktoriaplatz auf und ab und krakeelte über das Philistertum der Gesellschaft. Als ich jung war, waren die sozial Auffällige Poeten, gescheiterte Freidenker oder verkannte Genies. Alle gestorben oder still geworden.

Heute sind sie alle politisiert. Bürgerlich. Das kann ja heiter werden.

* Zivilpänzerli: Herr Tigers Bezeichnung für Offroader.
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