28
Jul
2013

Schweizer Kriegsgurgeln in Sachsen



Die Festung Königstein (Bild) ist unter anderem ein Museum der sächsischen Kriegsgeschichte. Das ist auch für militärisch desinteressierte Schweizer packend. Denn bis weit ins 19. Jahrhundert waren es oft Schweizer, die für Sachsenfürsten in Sachsen Krieg führten - und danach zum Teil dort blieben. Auf der Burg Königstein begann ich zu ahnen, dass ich in Sachsen viele entfernte Cousins und Cousinen haben könnte.


Dieses Bild* zeigt den Träger einer Uniform der Schweizer im sächsischen Dienst um 1800. Es hängt in der Sonderausstellung über die Sachsen und Napoleon auf der Burg.

Wie die Schweizer nach Sachsen kamen? Nun. Schon im Mittelalter galten schweizerische Söldner als ultimative Kriegsgurgeln - und waren auf allen Schlachtfeldern Europas im Einsatz. Im Nahkampf waren sie so gut wie unschlagbar. Es war ein brutaler Job mit hohen Risiken. Doch der Handel mit Soldaten war ein lukratives Geschäft für die Herren aus der Schweizer Oberschicht, die die Krieger rekrutierten. Den meistbietenden ausländischen Königen schickten sie am meisten Schweizer Söldner. Oft genug kämpften im Feld schliesslich Schweizer gegen Schweizer.

Auch deshalb schafften die reformierten Kantone das Soldwesen zwischen 1520 und 1530 ab. "In der katholischen Innerschweiz blühte das Geschäft mit den fremden Diensten noch während rund 250 Jahren", schreibt Stefan Ragaz**. Das hatte zwei Gründe: Erstens gab das Land in der bergigen Zentralschweiz wenig her - viele junge Männner sahen keine Perspektive als das Kriegshandwerk in der Fremde. Zweitens wollten sich die Innerschweizer Noblen einfach nicht vom profitablen Söldnergeschäft lösen. Schweizweit verboten wurde die so genannte Reisläuferei erst 1848.

Waren es also hauptsächlich Männer aus der Innerschweiz, die in die sächsischen Kriege zogen? Die Musterungsliste der Sächsischen Schweizergarde von 1730 gibt keinen klaren Aufschluss darüber. Sie legt aber nahe, dass auch Leute aus der französischsprachigen Schweiz dabei waren.

Wie auch immer: Viele Schweizer liessen sich offenbar nach dem Kriegsdienst in Sachsen nieder. Das ist hier belegt. Sie betrieben Milchwirtschaft. Das konnten sie. Allerdings waren sie damit wohl nicht so erfolgreich. Es gäbe in Sachsen sonst besseren Käse.

Und sie heirateten und hatten Kinder.

Auch mein Vater stammt aus der katholischen Innerschweiz. Auch er sah keine berufliche Zukunft in seinem Heimatdorf - und suchte ein Auskommen auswärts. Er fand es im öffentlichen Dienst in der Stadt. Viele seiner Onkel und Uronkel sind wohl in ähnlicher Lage ins Ausland marschiert - vielleicht auch nach Sachsen.

Mehr zur Festung beim kultuflaneur.

* Auch der Bildautor, ein Herr Graenicher, könnte ein Schweizer gewesen sein. Jedenfalls kommt der Name in der Schweiz vor, und Gränichen ist ein Dorf im Kanton Aargau.
* Stefan Ragaz: "Luzern im Spiegel der Diebold-Schilling-Chronik - 1513 - 2013", Adligenswil, Ragaz Medien GmbH, 2013.

27
Jul
2013

Ich funktionierte

Ich hörte auf dem rechten Ohr fast gar nichts mehr. Aber ich funktionierte. Ich montierte links mein Hörgerät. Ich ging ins Büro. Ich arbeitete. Ich stellte fest: Das Hörgerät brachte mich über die Runden. Einigermassen.

Kurz vor zwölf Uhr begann mein rechtes Ohr, Lärm zu machen. Heftigen Lärm. Es dröhnte und sauste und pfiff wie eine wahnsinnig gewordene Lüftung. Das kenne ich mittlerweile. Wenn das passiert, weiss ich: Bald höre ich besser.

Ich hörte bald besser, wenigstens ein bisschen. Ein paar peinliche Situationen gab es. Als ich ging, traf ich im Treppenhaus flüchtig den netten Kollegen Mek. Ich muss vorausschicken: Treppenhäuser sind für Schwerhörige schreckliche Orte. Sie hallen. Die Leute haben es eilig und werfen einander irgendwelche Phrasen an den Kopf. Oder vielleicht auch mehr als Phrasen. Mek sagte: "Grumbelhallgrumbelhallhall... Wochenende." Er muss "schönes Wochenende" gesagt haben, dachte ich. Ich sagte: "Danke gleichfalls." Da drehte er sich um und sagte: "Nein, nein. Ich habe gesagt: Gehst Du jetzt ins Wochenende?" Ich war so gestresst, ich war nicht im Stande, ihm eine klare Antwort auf diese einfache Frage zu geben.

Ich ging nach Hause und war entsetzt: "Wenn das jetzt der Normalzustand wird, dann schaffe ich das nicht. Ich schaffe das nicht." Es ist unangenehm. Es ist demütigend. Es ist der Horror. Wenn man seine eigene Stimme nicht mehr hört, dann hat man keine Kontrolle mehr über sein Leben, dachte ich. Man weiss nicht, wie laut man sprechen muss, um sich Gehör zu verschaffen. Und die anderen hört man sowieso nicht mehr.

Aber ich habe solche Phassen schon ein paarmal durchgemacht. Ich denke: "Ich schaffe das nicht." Ich drehe fast durch. Dann wird es besser, und ich habe Angst, dass es wieder schlimmer wird. Dann wird es wieder schlimmer, und irgendwann habe ich mich dran gewöhnt, und es geht irgendwie. Manchmal bin ich sogar glücklich.

Und dann kommt das Nächste Desaster.

So ist das mit meinen Ohren. Seit 13 Jahren.

26
Jul
2013

Schock beim Aufwachen

Als ich heute Morgen aufwachte, schockierte mich mein Gehör wieder einmal: Wenn ich mir das linke Ohr zuhielt, konnte ich meine Stimme überhaupt nicht mehr hören. Mein rechtes Ohr war so gut wie taub.

Um zu verstehen, was das heisst, muss man wissen: Mein rechtes Ohr ist eigentlich mein gutes Ohr. Hörtests am Mittwoch hatten ergeben, dass ich auf der rechten Seite noch das bessere Sprachverständnis habe - oder hatte. Vor zwei Tagen.

Schon vor zwei Tagen stand es nicht gut um mein Gehör. Heftige Schwankungen. Nun, Gehörschwankungen sind das Wesen einer Menière-Erkrankung. Ich habe mich daran gewöhnt. Wenn es schlimm ist, empfinde ich keinen Horror mehr, keine Trauer. Nur noch leise Bitterkeit. Und eine entfernte Ahnung, dass die Welt nicht in Ordnung ist.

Aber so schlimm wie heute war es noch nie.

Es ist Sommer, unsere Fenster stehen offen. Draussen hörte ich ein Handy mit einem merkwürdig schrumpeligen Ton. Es dauerte eine Weile, bis ich begriff: Das war kein Handy. Das war eine Ambulanz.

24
Jul
2013

Im Schlaraffenland

Auf unserer Deutschland-Reise fühlte ich mich ein bisschen wie im Schlaraffenland. Oder wie in Gulliver's Reisen. Die Portionen in den Gaststätten sind dort meist viel grösser als jene in der Schweiz - manchmal riesig. Beim Gemüsehändler in Bad Schandau kauften wir Aprikosen so gross wie Pfirsiche. Und sogar die Schweine sind im Grossen Kanton grösser als in bei uns. Jedenfalls erwarben wir einmal beim Fleischer zwei Koteletts für eine Mahlzeit zu zweit. Aber wir stellten bald fest, dass ein solches Kotelett easy für uns beide reichte.

Es war ähnlich wie in den USA. Dort ist ja auch alles doppelt so gross wie bei uns. Nur schmeckt das Essen in Amerika immer fad. Als wäre dort gleich viel Aroma drin wie bei uns - nur einfach auf mehr Volumen verteilt. Aber in Deutschland schmeckt das Essen meistens tiptop, oft sogar ausgezeichnet.

Und dann ist ja auch alles so viel billiger als bei uns.

Ich hätte mich wohl nicht mehr mit unserer heimischen Gastronomie versöhnt, wenn wir in Sachsen nicht etwas unglücklich über den Käse gewesen wären. Ich meine: Wenn Gouda nicht so rezent ist, dann ist das halb so schlimm und manchmal sogar genau das Richtige. Aber wenn man zur Abwechslung Tilsiter kauft und er auch wie Gouda schmeckt - dann stimmt etwas nicht.

Und endlich gibts bei uns jetzt auch wieder Seetaler Chlepfer - das sind Kirschen so gross wie Aprikosen. "Chlepfe" oder "chlöpfe" heisst bei uns knallen - und das hat durchaus etwas Lautmalerisches. Die Kirschen sind nicht nur gross, sondern zum Bersten prall und wunderbar süss.

20
Jul
2013

Der Schrammstein-Entschluss

In den Schweizer Alpen muss man ja für eine richtig tolle Aussicht um sechs Uhr morgens aufstehen und dann vier Stunden stetig steigen. In der sächsischen Schweiz verlässt man dagegen um zehn Uhr gemütlich die gute Stube - und geniesst zwei Stunden später die grandiose Aussicht auf dem nächsten Gipfel.

Doch zeigte sich schnell, dass dass das für Schweizerin Frogg mehr als genug war. Als sie den ersten richtigen Berg in Sachsen bestieg, kamen bei ihr bedenkliche Fitness-Defizite an den Tag.

Es ging auf die Schrammsteine - und da hinaufzusteigen lohnt sich. Die Aussicht ist phantastisch:


(Bild vom kulturflaneur)

Die Felstritte und Leichtmetall-Treppchen dort oben brachten mich aber mächtig ausser Puste.

Ich bin früher eine ausdauernde Bergziege gewesen. Dass ich 200 Meter Höhenunterschied mit krebsroter Birne bewältigen musste, fand ich blamabel. Ich hatte sogar Herzrasen! Und neben mir hüpften tschechische Touristen wie Rehlein gipfelwärts.

Einmal oben erforschte Herr T. auch noch den letzten Felszacken. Frau Frogg dagegen blieb im Bereich mit den schwindelpatientensicheren Geländern, blickte übers Land und fragte sich: Was ist bloss mit mir passiert?

Ich musste mir eingestehen: Es ging um die Frage, wie viel ich mir im Alltag abverlange. Wegen meiner Menière-Erkrankung neige ich dazu, meine Grenzen nicht allzu forsch auszutesten. "Sie brauchen genug Erholungszeit, sonst kippt ihr gutes Ohr", hat ein Arzt einmal zu mir gesagt - und ich nickte, denn das wusste ich bereits aus Erfahrung. Allerdings hätte ich es selber nicht in so simple Worte fassen können.

Dazu kamen merkwürdige Fussschmerzen im letzten Herbst. Eine richtige Diagnose dafür habe ich nicht gesucht. Ganz weggegangen sind sie aber auch nicht. "Ich werde eben alt", dachte ich. "In zwei Jahren bin ich 50." Und ging dazu über, auch meine Füsse - genau wie meine Ohren - etwas mehr zu schonen als früher.

Zwar habe ich immer noch einen Schrittzähler und lege meine 10000 Schritte im Tag zurück, meistens in der Stadt und mit gutem Schuhwerk. Damit hat es sich.

Zu wenig, stellte ich auf den Schrammsteinen fest.

Deshalb fasste ich dort oben einen Entschluss: "Ich werde jetzt ausprobieren, ob ich ein bisschen Konditionstraining aushalte", sagte ich mir. Schliesslich warteten in der sächsischen Schweiz noch weitere Berge auf uns. Ich musste wieder berggängig werden, wenn ich nicht im Tal versauern wollte. Länger als fünf Stunden dauern Wanderungen dort sowieso selten. Genug Erholungszeit blieb mir also täglich.
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