17
Jul
2013

Der Dichterfürst und die Touristen

Unserer zweiter Ausflug in der sächsischen Schweiz hatte wieder den Lichtenhainer Wasserfall zum Ausgangspunkt. Diesmal erregte er erst richtig meine Aufmerksamkeit.


(Quelle: www.lichtenhainer-wasserfall.de)

Man braucht den Lichtenhainer Wasserfall nicht selber zu fotografieren. Bilder von ihm sind dutzendfach auf dem Netz zu finden. Er ist eine Ikone, gewissermassen das touristische Herz der sächsischen Schweiz - mitsamt Zufahrt in einer schnuckeligen Bahn, Souvenir-Kiosk, Carparkplatz und einer ausgezeichneten Gaststätte.

Dabei wirft er seine vielfotografierte Wasserfülle meist nur dank eines raffinierten wasserbaulichen Tricks aus dem 19. Jahrhundert ab - einer kleinen Stauwand oberhalb des Falls. Man kann sie öffnen, wenn genügend Touristen da sind. Dann hüpft ein zuvor gestauter Wasserschwall die schätzungsweise zehn bis 15 Meter hohen Felsen hinunter.

Man wollte im vorletzten Jahrhundert eben, dass die Sächsische Schweiz - wie die richtige Schweiz auch - einen Wasserfall hat. Kitsch? Nein, finde ich. Eher eine köstliche Anekdote aus der Geschichte der Tourismusindustrie, die ja im 19. Jahrhundert erfunden wurde.

Allerdings beschäftigte mich die Frage, warum die deutschen Früh-Touristiker einen Wasserfall zur Verschweizerung ihres Produkts wählten. Klar, ein Gletscher wäre technisch zu aufwändig gewesen. Aber warum nicht eine Käserei? Oder Kuhglocken?

Auf unserer Wanderung zu Kuhstall - die eher ein Sonntagsspaziergängli war - ging mir plötzlich das Licht auf: Natürlich! Wegen Goethe! Schliesslich war Johann Wolfgang von Goethe einmal in der Schweiz auf Reisen. Und was brachte der Dichterfürst als bekanntestes Souvenir von dort mit? Genau: den Gesang der Geister über den Wassern! Ein Gedicht, zu dem ihn der Staubbachfall im Berner Oberland inspirierte.


(Quelle: wikimedia)

Nun ist der Staubbachfall fast 300 Meter hoch - sehr viel höher als derjenige von Lichtenhain.

Dafür erklomm der Vater der deutschen Klassik literarisch unerreichte Höhen. Und wer hätte gedacht, dass Goethe sogar an der Erfindung der deutschen Tourismus-Industrie beteiligt war.

Mehr zum Kuhstall gibts in einem ausgezeichneten Beitrag des Herrn Kulturflaneur.

14
Jul
2013

Soll man dort reisen?

Soll man in einem Unwettergebiet reisen? Diese Frage stellte ich mir nicht zum Erstenmal, als ich die Schäden in Bad Schandau sah. Fragte man die Leute, die in der Sächsischen Schweiz in der Tourismusbranche tätig sind, so lautete die Antwort unumwunden: "Ja, kommt!" Denn sie leben von den Touristen. Die wollen nach solchen Schäden nicht auch noch die Einnahmen eines Sommers verlieren. Ich hatte also kein schlechtes Gewissen, dort zu sein. Wir taten unser bestes und konsumierten.

Natürlich kann man nun den Einwand vorbringen, dass der Konsum eine Geisel unserer Zeit sei und die Welt in den Untergang treiben wird. Aber ich fand den Zeitpunkt für solche Einwände gerade nicht so glücklich gewählt.

Für mich gab es eine zusätzliche Schwierigkeit. Ich brauche viel Ruhe. Sonst werde ich schwerhörig. Keinesfalls werde ich meinen Urlaub dazu missbrauchen, das labile Gleichgewicht der Flüssigkeiten in meinem Innenohr vorsätzlich aus dem Lot bringen. Also suchten wir uns überschwemmungsfreie Räume.

1) Wir suchten die Höhe. Dort ist die Landschaft unversehrt - und grossartig.


(Von unserer ersten Wanderung vom Kirnitzschtal hinauf nach Mittelndorf und Altendorf, Blick auf die Affensteine).

2) Ich erklärte unsere Ferienwohnung zur heilen Welt. Der Kulturflaneur hatte zum Glück eine Wohnung mit gemütlicher Terrasse gefunden. Weil uns das Wetter hold war, verbrachten wir dort viel Zeit. Wir lasen, wir schrieben, wir lagen an der Sonne.

3) Mit der Zeit lernten wir, keine rotweissen Absperrungen zu missachten. Wir versuchten, nicht zu gaffen und nur wenig zu fotografieren.

Wir hätten auch mal aufräumen geholfen, wenn es sich ergeben hätte. Aber es hat sich nicht ergeben. Die Sachsen sind tüchtige Leute. Die halfen einander selber.

Und tatsächlich: In Bad Schandau stabilisierte sich nicht nur mein Gehör sehr schnell. Wir verbrachten dort auch eine sehr gute Zeit.

13
Jul
2013

Gespenstische Szenen

"Wasser ist etwas Schreckliches. Aber wir leben davon", sagte unsere Vermieterin in Bad Schandau. Wir lernten schnell, wie sie das meinte - jedes Wort davon.

An unserem ersten Abend drehten eine kleine Runde im Städtchen. Wir wollten unseren Ferienort auschecken. Wir schrieben den 14. Juni. Aus unserem Spaziergang wurde eine Schadensbesichtigung.

Wir sahen gespenstische Szenen in einer menschenleeren Stadt. Mittendrin ein leeres Haus mit offenen Türen und Fenstern. Im Erdgeschoss ein Kaminfeuer. Niemand da.

Bad Schandau ist ein schmucker Urlaubsort am Elbufer. Es gibt dort grosse Hotels, Restaurants, Eisdielen, Kurhotels, Souvenirläden. So sieht der Marktplatz normalerweise aus.


(Quelle: s2.germany.travel)

An jenem Abend aber war der Platz mit rotweissem Band gesperrt. Alles geschlossen, überall Schlammreste, eingedrückte Schaufenster, Sperrgut. Die Flut hatte hier die Ladengeschosse mannshoch mit braunem Wasser gefüllt. Um ein schickes Hotel herum standen Spundwände aus Leichtmetall. Es scheint nichts genützt zu haben. Das Hotel war leer, und zwar von der Tiefgarage bis zum vierten Stock. Kurz vor der Hochsaison.

Auch der Kurpark lag stellenweise unter einer fussdicken Schicht Schlamm.

Das erste Mal in diesen Ferien dachte ich: "Ich will nach Hause." Dass ich so etwas denke, ist nichts Aussergewöhnliches. Letzten Sommer im vergleichsweise heilen Tessin habe ich jeden Abend und manchmal auch am Morgen gedacht: "Ich will nach Hause." Letztes Jahr war kein gutes Jahr für mich. Schwamm drüber.

Dieses Jahr war es das letzte Mal, dass ich nach Hause wollte. Ich begriff, dass ich Strategien brauchte, um mich gegen das Grauen über eine solche Katastrophe zu schützen. Ich fand sie auch. Dazu später mehr.

11
Jul
2013

S-Bahn ins Katastrophengebiet

Die S-Bahn fährt am 14. Juni im Schritttempo in die sächsische Schweiz. Als müsste sie sich vortasten. Die Katastrophe ist vorbei, aber man sieht ihre Spuren überall. Der Zug fährt nur alle zwei Stunden, zusteigen in Pirna.


(Quelle: www.saechsische-schweiz-touristik.de)

Die Elbe ist angeschwollen und grünlichbraun."Wie der Amazonas", sagt der Kulturflaneur. Schnell lernen unsere Augen, an den Flussufern den Höchstpegelstand abzulesen. Er war da, wo die Grenze zwischen verschlammten und grünen Wiesen verläuft. Ich sehe wenig Grün an diesem Tag. Viel Schlamm. Viel Grau.

Überall stehen die Erdgeschosse der Häuser leer und die Fenster offen. Menschen arbeiten mit Kärchern. In Bad Schandau ist Endstation. Hier hat der Kulturflaneur uns eine Ferienwohnung reserviert - auf der anderen Elbseite, im Städtchen.

Die Fähre ist noch ausser Betrieb, die Fährstation überschwemmt. Aber wir haben Glück und erwischen einen Bus. Und weil die Busstation Elbkai auch überschwemmt ist, hält der Bus weiter oben. Direkt vor dem Haus mit unserer Ferienwohnung.

Unsere Vermieterin heisst Frau Krieger und erzählt, als wolle sie sich die Flut vom Leib reden: wie das Wasser die Strasse hochkam, bis 20 Meter vor ihrem Haus. Der Schrecken ist ihr noch immer ins Gesicht geschrieben. Ich höre gut an diesem Tag, und ich höre ihr zu wie gebannt.

Es sei gut, dass wir trotzdem gekommen seien, sagt sie. Touristen seien überhaupt willkommen. "Wir leben ja von den Touristen. Ja, früher gab es hier noch Fabriken. Aber die sind alle nach der Wende zugegangen. Jetzt sinds nur noch die Touristen." Eine Handbewegung sagt uns, dass sie das für ein heikles Klumpenrisiko hält - dazu noch mit so einem Wetter.

Sie hat uns Semmeln gekauft. "Brot gibts jetzt wieder, in einem Wagen vorne bei der Kreuzung. Und der Fleischer ist offen. Und der Lidl. Und die Getränkestation." Die Getränkestation legt sie uns besonders ans Herz. "Da gibts auch Milch." Und Restaurants... ja, da sei alles geschlossen. "Ausser der Bären. Der hat wieder offen."

Als sie gegangen ist, essen wir dankbar ein paar Semmeln. Wir haben Hunger. Dann gehen wir einkaufen. Als wir aus dem Haus gehen, betrachte ich nachdenklich die Ausgänge. "Sind das gute Fluchtwege?" frage ich mich. Aber dann verdränge ich den Gedanken.

Wir gehen zum Fleischer und zum Gemüseladen, der auch wieder geöffnet ist und mit Erdbeeren lockt. Und dann zu Lidl. Wir kaufen ein, als würde es morgen verboten.

10
Jul
2013

Wie das Hochwasser riecht

Am 13. Juni lernte ich, wie das Elb-Hochwasser riecht. Es riecht nach totem Fisch. Kein strenger Geruch, er ist einfach da, wie dünner Nebel. Und dann ist da eine modrige Note. Sie lässt nur leise die Ahnung aufkommen, dass diese Fluten auch den Inhalt einiger Kläranlagen mitgerissen haben könnten.

Ich war dabei, im Hotel in Dresden Elbschlamm von meinen Schuhen zu putzen. Selber schuld. Wir hatten eine Spaziergang zum Blauen Wunder gemacht. Der Elbe entlang. Zugegeben, es war eine dumme Idee. Wir sahen ja, dass das Wasser noch hoch stand. Und gaffen wollten wir nicht.

Aber die Wege der Elbe entlang waren wieder frei - naja, fast alle.


Wobei diese Stelle beim Rosengarten leicht zu umgehen war.

Und es war einfach zu warm, um ins Museum zu gehen. Es war der erste Sommertag diese Jahres, schwül, und ich war wie erschlagen. Mein Enthusiasmus der ersten Tage hatte sich verflüchtigt. Das Grün und der Duft des Rosengartens waren eine Wohltat. Nur der Senkgarten bot ein trauriges Bild.



Es symbolisiert für mich am besten, was mich an dieser Flut so fassungslos gemacht hat: Das war nicht einfach eine Überschwemmung. Da zerstörten Naturgewalten seit Jahrzehnten und Jahrhunderten sorgsam kultivierte Stadtkerne. Orte, wo die ahnungslose Fremde sie für gebannt gehalten hätten.

Nun gut, die Sachsen haben zum Teil gelernt, mit solchen Fluten umzugehen. Und wir beschlossen, uns nicht ins Bockshorn jagen zu lassen und spazierten.

Erst am Albrechtsberg kamen wir nicht mehr weiter. Vor uns ein Schlammsee. Hinter uns ein langer Weg zurück. Wir wählten den Schlammsee - und verdreckten unsere Schuhe. Zudem mussten wir hier auf die Hauptstrasse abbiegen. Wir reinigten uns vorher mit Blättern, so gut es ging. Für den Rest der Strecke nahmen wir den Bus.

Der Kulturflaneur entdeckte dann noch die Dresdner Bergbahnen in Loschwitz. Ich eine wunderschöne Aussicht.



Und dann lag das Blaue Wunder vor uns.



Stolz überquerten wir die Brücke. Erst hier merkte ich, wie erschöpft ich war. Danach musste ich erst mal ins Hotel zurück, mich ausruhen. Und meine Schuhe putzen.

So verpassten wir das grüne Gewölbe, die alten und alle neuen Meister und weitere Schönheiten von Dresden.

Aber vielleicht gibt es ein nächstes Mal.
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