5
Apr
2013

Paranoia vom Kiffen

Als ich zum vierten Mal kiffte, schrieben wir das Jahr 1982. Alles begann wie im Bilderbuch. Wir inhalierten unseren Joint auf dem Dietschiberg bei grandiosem Blick auf die Lichter der Stadt.


(www.fotocommunity.de)

Danach fuhren wir hinunter ins Downtown – die Bar war damals der Austragungsort für einen nachmitternächtlichen Exzess. Und da passierte es: Ich bekam einen leichten Anfall von Verfolgungswahn.

Warum ich das jetzt erzähle? Zurzeit wird in der Schweiz heftig über die Auswirkungen des Cannabiskonsums diskutiert - zum Beispiel hier. Da sehe ich mich gedrängt, mein halbes Gramm Lebensweisheit zum Thema beizusteuern.

Wir standen mit unseren Bieren in der Bar. Jemand schaute auf meinen chicen, kurzen Rock, und plötzlich wusste ich, was er dachte. Sie ist eine Hure, dachte er. Alle im Lokal dachten das. Oder sie dachten, ich sei strohdumm und hässlich. Ich wusste, dass das wahrscheinlich Unsinn war - und doch fühlte es sich an, als würden sie das denken. Es war unheimlich.

Als es nicht mehr aufhörte, begriff ich: Ich hatte gerade eine winzig kleine, noch etwas unschlüssige Paranoia. Ich hatte schon Leute mit einer ausgewachsenen, wütenden Paranoia gesehen. Ich wusste, dass das nichts für mich war. Es ist für niemanden etwas.

Ich gehe nach Hause und warte, bis es vorbei ist, dachte ich.

„Kein Problem, wir fahren Dich!“ sagten einer der Kumpel und stellte sein Bier hin. Aber mir war eingefallen, dass ich mein Fahrrad beim Rathaussteg abgestellt hatte. Die frische Luft würde die Ausnüchterung beschleunigen. Ich fuhr allein nach Hause. Es ging vorbei.

Seither habe ich nie mehr gekifft. Ich habe auch - soweit ich weiss - nie mehr psychische Probleme dieser Art gehabt. Wenn mir nach einem hübschen Rausch ist, trinke ich einen Schnaps oder ein paar Gläschen Wein.

Von meiner generellen politischen Orientierung her müsste ich eigentlich für eine Cannabis-Legalisierung sein. Schliesslich wird nicht jeder vom Kiffen psychisch krank. Und doch. Eine solche Erfahrung verändert das Bewusststein. Heute denke ich: Es merkt nicht jeder, wenn er dabei ist, psychisch krank zu werden. Denn bei uns sind psychische Krankheiten ein so grosses Tabu, dass eigentlich nur Experten und irgendwie Betroffene die Alarmsignale erkennen. Bevor sich das ändert, sollte Kiffen illegal sein. Das erhöht die Hemmschwelle für den Einstieg. Es sollte sich ändern.

29
Mrz
2013

Portmonee verloren

Auf einem Spaziergang zum Südpol machte ich gestern einen Stop im Café Arlecchino. Ich trank etwas, las zwei Zeitungen und ging weiter. Es dunkelte. Und es regnete. Eine gewaltige Hand schüttete aus einem gewaltigen Eimer zähes, klebriges Wasser über die Stadt. Es war wie in einem Aquarium. Im Südpol angekommen griff ich in meine feuchte Manteltasche und merkte: MEIN PORTMONEE IST WEG!

Eine Katastrophe! Der Mensch ist ja nichts ohne seine Bankkarten, seine Krankenkassenkarte, seine Identitätskarte und sein Bargeld. Und wie sollte ich bei diesem Wetter meinen schwarzen Geldbeutel auf der Strasse wiederfinden?!

Dann fiel mir ein: Er musste mir im Arlecchino aus der Hosentasche auf die Sitzbank gerutscht sein. Sowas ist mir auch schon passiert. Zum Glück hatte ich wenigstens mein Handy noch. Sofort rief ich ins Arlecchino an, und tatsächlich: Die Frau nach mir hatte das Portmonee prall voll an der Bar abgegeben. Ich schwöre: Ich werde das Arlecchino zu meinem Stammlokal machen!

Ich hätte den Geldbeutel auch heute Morgen holen können. Aber ich ging sofort los. Ich hätte eine unruhige Nacht gehabt ohne all den Plastik in meiner Obhut, der anderen sagt, wer ich bin.

Diesmal wollte ich den Bus nehmen. Aber es passierte, was immer passiert, wenn man im Südpol die Nerven verliert: Die Nummer 31 fährt Dir direkt vor der Nase weg - und die fährt nur alle 15 Minuten. Ich ging also wieder mal zu Fuss los. Nur bis zum Grosshof, schwor ich mir. Dort fährt die Nummer 1 alle vier Minuten stadteinwärts. Es regnete immer noch.

Und: Die Nummer 1 kam nicht. Während drei Einsen stadtauswärts durch die Wasserlachen rauschten, passierte stadteinwärts einfach gar nichts. Irgendwo draussen in Kriens musste eine endlose Schlange aus blauen Bussen warten. Ich stand im Wartehäuschen fluchte.

Bis mir einfiel: Ich kann ja gar nicht mit dem Bus fahren. Das Bus-Abo ist in meinem Portmonee.

24
Mrz
2013

Der neue Kochherd

Der Erfinder des Glaskeramikherds muss ein Sadist gewesen sein. Er wollte Zwietracht zwischen Liebenden säen. Er wollte Hardcore-Hausfrauen ins Burn-out treiben. Er wollte die Errungenschaften der Emanzipation rückgängig machen.


(Quelle: archiexpo.de)

Ich ahnte es schon, als ich 1997 das Reinigungsgerät für meinen ersten Glaskeramikherd in die Hände gedrückt bekam: eine Klinge so scharf, dass sie töten könnte! Ein gewöhnlicher Schrubber dagegen: streng verboten! Ich mühte mich redlich ab mit der Klinge. Vier Jahre lang, schlecht und recht.



2001 zog ich aus meiner ersten Wohnung mit Glaskeramikherd aus. Bei der Wohnungsabgabe strich die Vermieterin mit dem Finger über die für meine Augen spiegelglatte Oberfläche.* Sie hob missbilligend eine Augenbraue und machte ein Kreuzchen auf der Mängelliste. „Da ist eingebrannter Schmutz“, sagte sie. Diesen Blick spüre ich bis heute. Er ist die tiefste Demütigung, die einer Schweizerin passieren kann. Er bedeutet: „Sie sind nicht in der Lage, ihren Haushalt fleckenlos zu halten." Oder auch: „Sie sind eine Schlampe.“

Auch in Frogg Hall hatten wir einen Glaskeramikherd. Ich putzte den Herd, Herr T, kochte. Er erwies sich als zum Herdputzen ungeeignet. Als Mann kennt er die Demütigungen eines Schweizerinnen-Lebens nicht.

Alle sechs Jahre löste sich der Metallrand des Herdes. Vor Weihnachten rief ich zwischen zwei Hörstürzen den Herdmonteur an. Er sollte den Rand wieder befestigen. Er stand vor dem Herd und sagte: „Es bringt nichts mehr, den zu reparieren. Sie brauchen einen Neuen. Ich werde es der Verwaltung schreiben.“ Frau Frogg rang die Hände. Sie wollte keinen neuen Herd. Wenn man mit einer Mietwohnung einen 25jährigen Herd abgeben muss, darf er ein paar Reste drauf haben. Bei einem zehnjährigen Herd geht das nicht. Mietrecht.

Ich wollte der Verwalterin einen Brief schreiben. Ich hätte geschrieben: „Schonen Sie mich! Ich bin berufstätig und chronisch krank. Ich kann nicht auch noch einen neuen Glaskeramikherd pflegen.“ Aber dann brachte ich die Zivilcourage dafür doch nicht auf. Im Januar bekamen wir den neuen Herd. Herr T. versaute ihn am ersten Morgen mit seiner Kaffeemaschine.



Er verstand meine Aufregung nicht. "Das ist halt jetzt einfach der Anfang des Schmutzes", sagte er.

Ich muss gestehen: Da machte ich richtig Terror. Ich verfasste ein kurzes Regelwerk für die Benutzung des neuen Herds. In den ersten Tagen polierte ich täglich etwa eine halbe Stunde an dem Ding herum. "Das ist ganz normal", smste meine Mutter. "In den ersten Wochen mit meinem neuen Herd wurde ich fast wahnsinnig."

Heute brauche ich ein- bis zweimal pro Woche eine halbe Stunde. Herr T. hält sich ganz wunderbar an die Regeln. Aber manchmal ahne ich, dass seine Freude am Kochen ein wenig nachgelassen hat.

* Eine Anmerkung für deutsche und vielleicht österreichische LeserInnen: In der Schweiz gehören Kochherd und Kühlschrank zur festen Einrichtung einer Mietwohnung und gehören dem Vermieter.

20
Mrz
2013

Hinreissende Bilder aus Arabien

Zum Luzerner Frühling gehört das Comix-Festival Fumetto. Dann füllen jeweils Comic-Zeicher aus der halben Welt die Säle und Sälchen der Stadt mit knalligen Bildern, Skurrilitäten, Schalk, Horror und poetischen Geschichten. Jedes Jahr ein Highlight.

Frau Froggs diesjähriger Liebling ist dieser hinreissende Geselle aus der Ausstellung Al-Comix Al Arabi im ehrwürdigen Am-Rhyn-Haus.



Es ist der Samandal, das Emblem des gleichnamigen Comic-Magazins aus Beirut. Und so stellt er sich selber vor:



Zu Deutsch in etwa: "Ähnlich wie in den zwei Lebensräumen von Amphibien gedeiht der Samandal in den Welten des Worts und des Bildes, des Snobistischen und des Tadelnden, des Traditionellen und des Experimentellen..." und so weiter. Keine Sorge: Die meisten Texte sind vor Ort auf Deutsch übersetzt.

Ok, nun reduziere ich eine riesige Ausstellung aufs Schnuckelige und aufs Geistreiche. Dabei ist das grosse Thema der arabische Frühling - und wie die Menschen im Maghreb und im Maschrek (neues Wort, dort gelernt) ihn erleben.

Sie ist informativ und umfassend bis zur Überforderung. Aber sie ist auch tief bewegend, todtraurig, beängstigend und sehr, sehr lustig. Und sie konfrontiert den Gast mit simplen, aber fundamentalen kulturellen Unterschieden: etwa damit, dass arabische Comics meist von rechts nach links gelesen werden.

Gut gewählt ist das Am-Rhyn-Haus als Ausstellungsort. Es war einst Wohnstätte einer adligen Familie und setzt mit Wandgemälden aus den Jahren 1616 bis 1618 ein paar pikante kulturelle Kontrapunkte.


(Quelle: www.stadtluzern.ch)

So reitet über der ersten Säule beim Eingang ein osmanischer Krieger aus der Hand eines Luzerner Malers unter der Halbmond-Flagge dem Besucher entgegen. Leider ist er auf dem Foto oben ebenso wenig sichtbar wie der Luzerner Renaissance-Mann in der Saalmitte. Er trägt Halskrause und einen Tennisschläger und markiert den Platzhirsch. Er bekommt es nicht nur mit dem Samandal zu tun. Sondern dazu noch mit einer gfürchigen Kobra aus Messing made in Beirut.

17
Mrz
2013

Die Liebe zu den Grossvätern

Am 10. Mai 1945 war der Krieg auch für Fred Feuerstein vorbei. Seine Truppe in der Festung Lorient kapitulierte. Aus mündlicher Überlieferung wissen wir, dass er vorübergehend in Kriegsgefangenschaft geriet.

Sonst wissen wir nichts. Erst im Jahr 1953 schreibt er wieder an Erna, weil er geschäftlich unterwegs ist. Er ist dabei, einen Absatzmarkt für Velveta-Käse in Mannheim aufzubauen:



Er findet Mannheim russig, die Mannheimer proletarisch und seinen Job ungeheuer hektisch. Er schreibt fast nur noch über finanzielle Engpässe. Dabei geht es insgesamt aufwärts mit Feuersteins. Sie haben ein neues Haus, und Fred fährt jetzt auch Auto. Für alte Geschichten hat er keine Zeit mehr. Nur an einer Stelle outet er sich als einer jener Kleinbürger, die bei Ausbruch leichter öffentlicher Unordnung noch bis ans Ende ihres Lebens gerne lästern: "Im Dritten Reich hätte es das nicht gegeben!"

Es steht also fest: Fred Feuerstein mutierte in der Wehrmacht nicht zum heimlichen Regimekritiker als den ihn die Familien-Überlieferung gerne sieht.

Soll man ihn deswegen weniger gut mögen? Ich weiss es nicht. Es gibt Dinge, die mir an diesen Briefen Eindruck gemacht haben: Wie er hier seine Frau angesichts der Bedrohung vom Atlantik her um Verzeihung dafür bittet, dass er sie in dieses Schlamassel gebracht hat. Sehr berührend.

Und überhaupt können wir ja gar nicht aufhören, unsere Grossväter zu lieben. Vielleicht reicht es, wenn wir sehen, dass sie auch Fehler gemacht haben. Und daraus zu folgern, dass wir auch Fehler machen können.

Mich hat Fred gelehrt, genauer hinzuschauen. Wieder öfter Wort zu erheben, wenn ich sehe, dass meine Umgebung aus Betriebsblindheit oder offener Feindseligkeit andere gering schätzt. Aber ich bin nicht sicher, ob das reicht.
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