1
Feb
2012

Cortison im Ohr

Das beste an einer Cortison-Injektion direkt ins Innenohr ist die halbe Stunde danach. "Sie müssen auf dem Rücken liegen und den Kopf auf die linke Seite drehen. Liegen Sie still, sprechen Sie nicht und schlucken Sie möglichst wenig.", das hatte mir die Pflegefachfrau vor der Injektion gesagt. Dann rollten sie mich in den Operationsraum. Das war heute Morgen. Ich hatte wieder einen akuten Menière-Schub auf meinem guten Ohr gehabt und war ins Spital gegangen.

Nach der Injektion konnte niemand mehr mit mir sprechen. Sie hatte mich stocktaub gemacht. "Das ist normal", sagten die Ärztin. Zweimal. Weil sie beim ersten Mal vergass, in mein Hörgerät im linken Ohr zu schreien.

Sie rollten mich wieder hinaus auf den Korridor. Da lag ich, hinter einem Papiervorhang, schön zugedeckt und ganz und gar ungestört. In solchen Momenten kann man sich mit ungeheuerlichen Dingen abfinden: zum Beispiel mit der Vorstellung, dass man vielleicht nie wieder Musik hören wird.

Danach stand ich auf und wartete, bis der Schmerz im Mittelohr aufhörte. Als ich schluckte, schmeckte ich das Cortison. Es ist bitter.

29
Jan
2012

Lieber reich und gesund

Die Lektüre der Sonntagspresse kann man sich heute sparen. Hingegen möchte ich vor allem meine Schweizer Leser auf einen Beitrag bei ivinfo aufmerksam machen. Der Bericht zeigt - zugespitzt formuliert: Wer in unserem Land krank wird und in eine Rentenabklärung gerät, lebt unter Umständen gefährlich. Dafür können sich Gutachter schamlos an ihm bereichern. Das ist besonders stossend, weil unsere Invalidenversicherung - für die wir alle zahlen - mit den Renten äusserst knausrig geworden ist.

Ein Freund von mir pflegte zu sagen: "Lieber reich und gesund als arm und krank".

Damals war ich noch jung und wollte nicht begreifen, dass es dieser lakonischen Aussage nichts hinzuzufügen gab. Ich glaubte, in einer gerechten Gesellschaft zu leben, die auch für ihre Kranken nach bestem Gewissen sorgte. Heute verstehe ich sie. Jeden einzelnen Buchstaben.

25
Jan
2012

Angst vor dem Einbrecher

Wenn ich unser Treppenhaus betrete, beschleicht mich in diesen Tagen oft ein ungutes Gefühl. In den bald elf Jahren, in denen wir hier wohnen, hat unser Besitzer gar nichts daran gemacht. Das Treppenhaus sah damals schon vernachlässigt aus. Heute erinnert es an jene Entrées aus der Sowjet-Zeit, die ich 1998 im heruntergewirtschafteten Russland sah: Die Farbe blättert. Der Verputz bröckelt.

Ich fürchte, unser Vermieter wird die neunzigjährigen Mietshäuser im Quartier bald niederwalzen und etwas Neues hinstellen. Etwas Teures. Die Mieten sind in unserer Stadt in den letzten paar Jahren in unglaubliche Höhen geschnellt.

Das ist schade. Denn in unserem Quartier hat sich ein kleinbürgerlicher Lebensstil erhalten, der vor 10 Jahren schon liebenswert altmodisch wirkte. Frau Froggs erste Postings setzten sich nicht zuletzt deshalb intensiv mit unserem Haus und seinen Bewohnern auseinander - etwa im Beitrag Es eint sie die Angst vor dem Einbrecher.

Frau Baggenstoss und Frau Baumgartner sind immer noch hier. Frau Baggenstoss ist geradezu unheimlich nett geworden. Und Frau Baumgartner wartet auf einen Platz im Altersheim.

Eines Tages ist es wohl auch vorbei mit den den geheimeimen Fusspfaden hinter dem Haus, dem Bärlauch unter den Wäscheleinen und den wilden Erdbeeren.

22
Jan
2012

Frau Frogg's intimster Beitrag

Am 2. Februar 2002 hat Frau Frogg ihren ersten Blog-Beitrag geschrieben. Er trug den Titel "Bambustiger und Tüpflihexe" und ist hier nachzulesen.

So ein Jubiläum ruft nach ausgedehnten Feierlichkeiten. In lockerer Reihenfolge werde ich Euch über die kommenden Wochen meine besten Beiträge noch einmal kredenzen. Und - wo nötig oder möglich - erzählen, wie meine Geschichten weiter gegangen sind.

Mein erster Blogbeitrag ist auch einer meiner intimsten. Später habe ich die Weltöffentlichkeit kaum mehr je so direkt in mein Schlafzimmer blicken lassen. Ich werde es auch hier nicht tun. Nur so viel: Aus dem Tiger ist nach ein paar Jahren Herr T. geworden. Er ähnelt jetzt eher einem Eisbären als einem Tiger, denn seine Haare sind ganz weiss. Noch immer streift er durch unsere gemeinsame Wohnung. Gerade lässt er in der Küche einen Schmorbraten aufbrutzeln.

21
Jan
2012

Filmtipp

Gestern liess ich mich von acqua aus meiner selbstgewählten Einsamkeit locken. Eigentlich wollten wir zusammen den neuesten Kino-Knüller aus Frankreich sehen: Intouchables (ziemlich beste Freunde). Doch der war ausverkauft. Kein Wunder: Er hat hierzulande einen richtigen Medien-Hype ausgelöst.

Also wichen wir auf einen Streifen aus, der im kleinsten Saal unseres Stammkinos lief: le gamin au vélo (zu Deutsch: "Der Junge mit dem Fahrrad").



"Oje, französischer Problemfilm!" dachte frau frogg. Aber der Streifen erwies sich als Bijou. Er lebt von der unglaublichen Tour de Force seines Hauptdarstellers, des elfjährigen Thomas Doret alias Cyril. Cyril sucht seinen Vater - mit seiner ganzen, enormen Sturheit und jeder Menge gerissenen Tricks. Er büxt aus dem Heim aus, in dem er lebt. Er übertölpelt Lehrer, Erzieher, einen Abwart. Er rennt und rennt und rennt und fährt Velo - im Gesicht die heilige, herzerweichende Verbohrtheit eines Kindes."Pitbull" nennen ihn die bösen Buben im Quartier. Der Name passt.

Das Treffen mit dem Vater wird - nicht ganz unerwartet - zur Katastrophe. Nun bleibt dem Bub nur noch die Coiffeurin Samantha. Diese kümmert sich an Wochenenden um ihn. Gern hätte frau frogg erfahren, warum die junge Frau sich des schwierigen Knaben annimmt. Aber Erklärungen dazu bleibt uns der Film schuldig. Leider.

Finden die beiden zusammen einen Weg? Oder gerät der Bub gar auf die schiefe Bahn? Das verrate ich nicht. Geht und schaut Euch das Werk an! Es ist ein Film über die Kraft, die wir alle aufwenden, um unseren Platz im Leben zu finden. Und darüber, dass manchmal auch unglaublich viel Kraft nichts nützt. Und doch ist es ein lebensbejahender Film. Mit einem dramaturgisch punktgenau gelungenen Schluss.

Filmstart in Deutschland: 9. Februar; in Österreich: 10. Februar
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