8
Mrz
2011

Fasnacht virtuell

Leider bin ich dieses Jahr Fasnachts-zwangsabstinent. Meine Ohren sind so empfindlich, dass schon ein Frauenfurz* live mich die Wände hochjagt. Ich möchte hier aber ein- für allemal klarstellen, dass ich den Karneval als Phänomen und Lebensgefühl ausdrücklich befürworte.

Wie sich jetzt trotz allem ein einsames Stück Konfetti auf meine Tastatur verirrt hat, wird wohl ein Rätsel bleiben.





* Knallerbse

5
Mrz
2011

Mürrische Schwerhörige

Schwerhörige haben den Ruf, oft mürrisch zu sein. Bei den wenigen schwerhörigen Personen, die ich kennengelernt habe, ist zwar eher das Gegenteil der Fall. Ich stelle ich in letzter Zeit aber immer wieder fest, dass ich selber schnell verärgert oder gar tobsüchtig werde.

Als ich die letzten paar Beiträge verfasste, wurde mir auch allmählich klar, weshalb. Besonders Tortur im Theater klärte die Lage.

Das Problem ist: Häufige Begleiterscheinung eines Hörverlusts ist eine hohe Empfindlichkeit auf gewisse Geräusche. Nicht nur bei mir. Ich habe von Schwerhörigen gehört, die sich im Zug über das Geraschel einer Zeitung beklagten. Natürlich reagierte der Raschler mit völligem Unverständnis.Klar. Was soll denn falsch sein mit dem Rascheln einer Zeitung? Doch es trug nicht dazu bei, dass sich die Miene des Beraschelten erhellte.

Genau gleich geht es mir im Theater. Da jagt mir ein Tonmeister eine elektrische Rückkopplung von 85 Dezibel durch die Gehörgänge. Das gehört zu Konzept. Für mich fühlt sich das an wie... nun, ältere Semester erinnern sich noch, wie Kreide auf einer Schiefertafel quiiiiietschen kann. Ja. So fühlt sich das für mich an. "Was ist das für ein unbedarfter Depp von einem Theatermacher?!" denkt da die Dame Frogg. Wie viele Damen in einem gewissen Alter hat sie sich daran gewöhnt, dass sie meist jemanden findet, der ihre Ansichten teilt.

Das Dumme ist nur: Diesmal ist die Dame Frogg mit ihrem Ärger allein. Kein Mensch ausser ihr findet den Lärm auf der Bühne lästig. Ja, sind denn die Leute rundum alle taub, ahnungslos oder unsensibel?

Ich gestehe: Ich finde das frustrierend. Es überfordert mich. Es ärgert mich.

Ich habe Menschenaufläufe sowieso nie gemocht. Würde mich jemand fragen: "Wo hältst Du Dich lieber auf? Allein in einem Wald oder in einem ausverkauften Theater?" Ich würde sagen: "Hundertmal lieber im Wald." Eigentlich würde ich besser gar nicht mehr ins Theater gehen, denke ich dann.

Das Problem ist nur: Im Wald ist die Chance, dass man einen Menschen mit sympathischen Ansichten trifft erheblich kleiner als im Theater.



Hierher gehört zwingend der erste Popsong mit elektrischer Rückkopplung der Musikgeschichte (Jahrgang 1964, gleich am Anfang):

2
Mrz
2011

Engel an der Autobahnauffahrt

In meinem letzten Eintrag habe ich über einen Tobsuchtsanfall nachts auf der Bushaltestelle berichtet - und wie ich bei der Autobahnauffahrt in einem finsteren Winkel ein weinendes Mädchen sah. Sie weinte zum Steinerweichen.

Ich warf einen misstrauischen Blick ins Gebüsch. Die junge Frau war allein. Ich dachte einen Augenblick lang besorgt an das Portmonee in meiner Manteltasche. Dann warf ich alle Vorsicht in den Wind. Ich setzte ich mich zu ihr und fragte, was los sei. Ich hatte vergessen, dass ich je wütend gewesen bin.

Sie warf sich in meine Arme und weinte in meinen Mantel. Erst mit der Zeit schluchzte sie ihre Geschichte heraus. Das übliche. Der Freund. Sie war seinetwegen hergezogen und kennt niemanden hier. Und er hat sie einfach sitzenlassen.

Ich bin selber einmal ein verzweifeltes Mädchen gewesen. Mehr als einmal. Manchmal möchte ich heute mit der jungen Frau Frogg von damals sprechen. Ich möchte ihr sagen, dass ich all die zentnerschweren Probleme von damals gelöst habe. Dass ich ein paar Dinge getan habe, auf die ich stolz bin. Dass ich einen netten Mann habe. Dass es mir gutgeht. Naja, mehr oder weniger. Aber Details müsste die junge Moni Frogg nicht wissen.

Auch die junge Frau nicht, die jetzt neben mir sitzt. Ich kann sie höchstens spüren lassen, dass die Zeit die meisten Wunden heilt.

Schliesslich hört sie auf zu schluchzen. Die Linie zwischen Trost und Zudringlichkeit wird merkwürdig dünn. Sie sagt: "Ich sollte nach Hause." Ich stehe auf und verabschiede mich.

Ich werde sie wahrscheinlich nie wieder sehen.

Später bin ich nicht sicher, ob ich sie gerettet habe oder sie mich.

1
Mrz
2011

Nächtlicher Tobsuchtsanfall

Neulich nachts nach dem Theater am Stadtrand. Ich gehe allein zur Busstation. Oder vielmehr: Ich renne, doch der Bus fährt mir vor der Nase weg. Scheisse! Wenn dieser Deppen-Tubel von einem Schafseckel-Chauffeur ein Profi wäre, dann hätte er mich gesehen! Gut, dann gehe ich zu Fuss! Ich stehe mir doch nicht wegen so einem Idioten-Bus an der Kälte zehn Minuten die hohen Absätze in den Bauch! Neben mir braust vierspurig der Verkehr. Ich schicke dem Busfahrer Verwünschungen hinterher, so laut ich kann. Die Wut von Jahren steigt in mir hoch. Wenn sie Flügel verleihen würde, würde ich in die Nachtluft schiessen, drei Kreise über der Autobahnausfahrt ziehen und dann nach einem sauberen Bogen zu Hause landen.

Aber Wut verleiht keine Flügel. Ich gehe schnell. Ich kann gar nicht mehr aufhören zu brüllen.

Nach zehn Minuten tun mir Hals und Füsse weh. Aber ich möchte immer noch jeden, den ich sehe, mit Blicken töten.

Ich komme zur Autobahnauffahrt. Das ist ein ungastlicher Ort. Zwar stehen hier ein paar Bänke zwischen finsteren Büschen. Doch wenn eine Frau drauf aus ist, nachts um ihr Portmonee oder ihre körperliche Unversehrtheit gebracht zu werden, dann sollte sie es hier versuchen.

Hier sehe ich sie. Sie ist jung und hat langes, blondes Haar. Sie sitzt auf einer Bank und weint. Sie weint zum Steinerweichen.

Sorry, Telefon. Rest erzähle ich morgen.

27
Feb
2011

Tortur im Theater

Herr T. und ich haben in letzter Zeit wieder öfter das Theater besucht. Bühnenkunst statt CSI lautete die Devise.

Uns beide interessieren eher Produktionen aus der freien Szene. Meine neuen Erfahrungen damit waren allerdings ernüchternd. Es scheint, dass Theater dazu da ist, die Lärmverträglichkeit meiner armen Ohren bis zur Grenze zu strapazieren - und meine Fingerfertigkeit im Umgang mit Ohropax zu testen. Das Fazit muss lauten: Zeitgenössisches Theater ist nichts für Meniere-Patientinnen.

Man muss sich einen Theaterbesuch von Frau Frogg so vorstellen: Sobald sie sitzt, stellt sie ihr Hörgerät links ab. Von bitterer Erfahrung gewitztigt, will sie ja nicht, dass vom Hörgerät über Gebühr verstärkte Schallwellen von links auf ihr lärmempfindliches rechtes Ohr treffen. Der Begleiter muss deswegen stets rechts von ihr sitzen, sonst sind kurze Zuflüsterungen gar nicht möglich.

Rechts steckt sie sich stets ein Ohropax. Sie hat gelernt, sich ein Ohropax so einzulegen, dass sie trotz wächsernem Freund im rechten Ohr 100 Prozent hört. Aber sie kann das Stück Wachs in Sekundenbruchteilen so zudrücken, dass es seine volle Wirkung entfaltet - und auf jeder Frequenz 20 Dezibel abdämpft.

Das ist manchmal im Kino nötig. Fast immer aber im Theater. Denn zeitgenössisches Theater mag in der Form sehr frei sein. Doch es hat ein prägendes Schall-Merkmal: Irgendwo im ersten Drittel wird es immer laut, und zwar stets sehr plötzlich. Meistens ist es kein schöner Lärm: Es ist Zuggedonner, es sind elektronisch verstärkte Maschinengeräusche oder es ist einfach elektrisches Feedback. Und immer kommt das Gequietsch gänzlich unerwartet. Zum Finale scheint heutzutage zu gehören, dass man die Zuhörer minutenlang mit Lärm um 90 Dezibel quält. So lange, dass Frau Frogg oft nur noch Sekunden davor steht, die Flucht zu ergreifen. Sie reisst sich dann das Hörgerät aus dem linken Ohr und hält sich mit Schreckensmiene beide Ohren zu. Bei zwei von vier Theaterbesuchen in den letzten beiden Wochen trat dieser Fall ein.

Dann schon lieber CSI als Bühnenkunst, denkt sich Frau Frogg. Da kann man wenigstens selber Lautstärke zurücknehmen. Bis sie am letzten Donnerstag im Zürcher Schauspielhaus Medea sah. Das war phantastisch. In der Sprache erstaunlich modern war die Inszenierung über weite Strecken so still, dass man es hörte, wenn jemand im ausverkauften Haus sich auf seinem Stuhl bewegte.

Medea ist die grosse Tragödie einer Frau, die von ihrem Mann wegen einer Jüngeren verlassen wird. Ihrer masslosen Wut opfert die Heldin ihre Zukunft, ihre Kinder. Sie wird zur Mörderin. Das war viel besser als CSI, weil es menschliche Tragik verständlich macht. Und uns erschauern lässt vor solcher Masslosigkeit, statt nur vor Gruseln über Leichenteile.

Im Zug nach Hause grinste Herr T. dann: "Ja, aber da ist doch diese Szene, in der ein Bote Medea den Todeskampf der jungen Prinzessin schildert - da dachte ich: Das hätten die CSI-Agenten was zu tun!"



Mehr dazu auch bei Herrn T..
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