14
Jun
2011

Hahn im Körbchen

"Güggeli im Chörbli"* ist im Restaurant Alpenblick in Muotathal Haus-Spezialität. Darüber war Frau Frogg zunächst nicht begeistert. Ich meine: Man geht ja nicht nur wegen landschaftlicher Schönheiten in die Berge. Sondern auch, um in Form zu bleiben. Klar, ich hätte einen Fitness-Teller haben können. Aber glaubt Meister-Kalorienzählerin Frogg: Fitness-Teller sind die reine Gesundheits-Heuchelei. Der Salat ist zwar meist leicht angerichtet. Aber fast immer gibts dazu richtige Kalorienbomben: reichlich Schweinefleisch, triefende Panaden oder mayonnäsige Tartare-Sosse.

Also lieber gleich mit Genuss sündigen und zum Güggeli greifen, sagte sich Frau Frogg.

Das Güggeli im Chörbli ist ein kulinarischer Anachronismus. Als Delikatesse galt das Gericht Mitte der Siebziger, als auch klein Moni Frogg es einmal zu essen bekam. Müsste ich zu Güggeli im Chörbli frei assoziieren, würden mir orange Tapeten, haarige Männerbrüste oder etwas in der Art einfallen:



Doch das Güggeli im "Alpenblick" gehört zu den fleischigen Vergnügungen, die man sich mehr als einmal in einem halben Leben zu Gemüte führen sollte. Der Korb ist innen diskret mit Metzgerpapier ausgelegt. Zuunterst lächelt ein See aus köstlicher Béarnaise-Sauce. Darin ruhen knusprig gebratene Poulet-Teile. Man isst zwangläufig mit den Fingern. Dazu gibts Pommes Frites und Maienfelder Wein.

Wir assen und bekamen gute Laune. Als eine Abteilung der lokalen Feuerwehr eintraf, wurde der Abend feuchtfröhlich. Und der Arm des Gesetzes reicht anscheinend nicht bis nach Muotathal: Stammgäste dürfen hier noch rauchen.

Wir gingen dann doch früh aufs Zimmer. Wir wollten ja am nächsten Tag beizeiten in die Berge.

Übrigens: Alles über unsere Wanderung auf die Silberen gibts jetzt bei Herrn T.

* Für österreichische Leser: Hendl; für Deutsche: Hähnchen im Korb

13
Jun
2011

Ein Höllentrip ins Mutotatal

Verdammt, ich glaube, mir fallen die Beine ab! Heute morgen konnte ich erst gar nicht aufstehen. Ich fürchtete, auf den Knien zum WC robben zu müssen. Aber ich bin selber schuld. Ich wollte auf die Silberen. Ich wollte das berühmte Kalkgebirge leuchten sehen. Und wirklich: Herr T. und ich waren auf der Silberen.

Herr T. auf der Silberen

Das Bild (von mir) zeigt Herrn T. beim Gipfelkreuz. Wie man gut sieht, leuchteten die Felsen gerade nicht. Dennoch muss ich jetzt büssen und meinen Muskelkater ein paar Tage lang rückwärts Treppen auf- und abführen.

Doch der Reihe nach. Um nicht um fünf Uhr früh aufstehen zu müssen, organisierten wir uns eine Übernachtung in Muotathal. Dort beginnt die Strasse zum Pragelpass. Dort liegt auch der Eingang eines riesigen Höhlensystems, des Höllochs.

Nun ist das Muotatal ein Tal mit einem Ruf. Es ist gewissermassen die Innerschweiz der Innerschweiz. Gelten die Innerschweizer als konservativ und nicht so weltoffen, so sollen die Muotataler diese Eigenschaften im Quadrat haben. Böse Zungen behaupten, sie seien engstirnig und rückständig. Selbst wir Städter aus dem nicht allzu fernen Luzern besuchten diesen Ort als Fremde, als Touristen.

Wir stellten fest: Die Globalisierung hat auch vor dem Muotatal nicht Halt gemacht. Der erste Muotataler, dem wir begegneten, war ein Deutscher: der Busfahrer. Er schien allerdings schweres Heimweh zu haben. Mit Trauermiene fuhr er uns ins wolkenverhangene Tal.

Die Häuser an der Strasse blickten schmucklos und feindselig talauswärts. Die Bauernhäuser an den Hängen sehen heimeliger aus. Doch am meisten Sinn für Gestaltung legen die Einheimischen bei der Einfärbung ihrer Sportwagen an den Tag: Wir sahen später ein paar spektakuläre Modelle vom Pass herunterbrausen.

Mitten in Muotathal steht die Möbelfabrik Betschart. In fetten Lettern steht auf der Fabrikfront: "Inh. Peter Föhn". Herr Föhn ist schweizweit berühmt. Weniger wegen seiner Möbel. Eher, weil er Politiker ist. Nationalrat jener Partei, die zu wissen glaubt, was ein Schweizer ist.

Wir waren die letzten im Bus. An der Endstation begrüsste uns dieses Schild.

Muotathal

Wir stiegen im Hotel Alpenblick ab. Ein Schild verkündete: "Tagesteller / Zimmer frei". Das Zimmer war schlicht und sauber. Die Wirtsstube auch.

10
Jun
2011

Nachts auf der Königin der Berge

Am Abend verzog sich der Nebel. Wir gingen hinaus und schauten von der Rigi hinunter ins Tal. Es war phantastisch. Die Nacht war schwarz und riesig gross. Wir sahen, wie die Lichter von Arth das Seeufer zeichneten. Wir zeichneten sie mit den Fingern nach. Wir sahen die Lichter von Steinen und Seewen und die Autobahn. Und die Umrisse der Urner Berge.

Ich musste die ganze Zeit an Wilhelm Tell für die Schule denken. An seinen dicklichen Helden Gessler, der im Büchlein Konrad von Tillendorf heisst und eigentlich eine liebenswerte Figur ist. Wie ich beim Lesen seinen Widerwillen gegen die Reise in die Innerschweiz verstand! Wie er im Schiff nach Uri sitzt und ihm der Anblick der Berge Kopfschmerzen bereitet. Und da ist ja noch dieser einheimische Gastgeber, der es sich "nicht nehmen liess" und ihm "dies und das" zeigte, "was den Einheimischen besonders sehenswert vorkam." Tillendorf nickt höflich*. Er langweilt sich. Der Idiot, dachte ich. Wie kann man diese Landschaft nicht grossartig finden?

Ich musste die ganze Woche an diese grossartige halbe Stunde auf dem Berg denken. Und an die Genialität von Max Frischs Erzählung. Wie sie uns zum Nachdenken über die Frage zwingt, wer wir sind und wo wir stehen.




* Max Frisch: "Wilhelm Tell für die Schule", Frankfurt am Main, Suhrkamp 1971, S. 8.

6
Jun
2011

Stimmungskanone und Schlaftablette

Ich bin gesund und munter. Zuweilen breche ich sogar aus meiner Einsiedlerinnenklause auf und besuche gesellige Anlässe.

Da habe ich manchmal merkwürdige Erlebnisse. So traf ich neulich eine richtige Stimmungskanone, ein Energiebündel, ein Lippenstiftgewitter.

Um die Kraft und Modulierbarkeit ihrer Stimme hätte sogar Stephanie Glaser sie beneidet - etwas mehr als um ihre Pointen, vielleicht.



Die Stimmungskanone redete ohne Unterlass. Das heisst: Zuweilen unterbrach sie sich, indem sie in explosionsartiges Gelächter ausbrach. Daran erkannte jeweils sogar Frau Frogg, dass sie einen Witz gemacht hatte.

Sie setzt bei ihren Witzen stark auf den running-gag-Effekt häufiger Wiederholungen. Mit Erfolg. Die anderen Anwesenden schienen sie alle amüsant zu finden. Sie habe für ihren Humor sogar einmal eine Auszeichnung der Lokalzeitung bekommen, sagte sie.

Ich wurde nicht so warm mit ihr und erging mich in Selbstzweifeln. Bin ich eine eitle Schurni-Tusse geworden und einfach nicht zufrieden mit der geringen Aufmerksamkeit, die ich am Anlass bekam?

Oder eine humorlose Schlaftablette?

1
Jun
2011

Intime Szenen in Balkonien

In den Achtzigern zirkulierte der Spruch: "Wir sind die Leute geworden, vor denen uns unsere Eltern immer gewarnt haben." Das galt auch für mich: Ich war immer mal zum demonstrieren aufgelegt, hörte laute Musik und trug stets verbeulte Jeans statt hübschen Jupes. Meine Eltern hassten es.

Aber die Zeiten ändern sich. Heute frage ich mich manchmal, ob ich jetzt zu den Leuten gehöre, zu denen ich früher nie und nimmer gehören wollte. Zu jenen bitteren Füdlibürgern, die abends auf dem Balkon sitzen und ihre Nachbarn beobachten. Mit stets leicht hinuntergezogenen Mundwinkeln natürlich.

Mein abendlicher Fensterplatz ist ideal für solches Benehmen. Ich sehe von dort nicht nur den Sonnenuntergang, sondern auch die Balkone vis à vis. Die sind wie kleine Bühnen. Intime Szenen häuslichen Lebens spielen sich dort ab.

Da wohnt zum Beispiel dieses junge Paar. Letztes Jahr hatten sie ein neu geborenes Baby. Abends sass sie lange mit dem Kind draussen und stillte auch mal. Er war meist auch dabei. Er schien sich manchmal eingeengt zu fühlen. Etwas hibbelig. Er wollte weg, ich konnte es bei mir oben riechen. Er wollte zu seinen Boys. Weg von diesem Weiber-Groove. In jenem Sommer lernte ich die Männer neu verstehen. Sogar Herrn T. Ein Mann muss ersticken, wenn er immer in dieser Mami-Atmosphäre herumhängt.

Diesen Sommer scheint sich die Paar-Dynamik leicht verschoben zu haben. Sie telefoniert stundenlang mit dem Handy. Sie scheint sich kaum noch für ihn zu interessieren. Mir scheint, er möchte mehr von ihrer Aufmerksamkeit. Oder täusche ich mich?

Manchmal ist mir meine Voyeurinnen-Rolle ein bisschen peinlich. Ich würde die beiden gerne kennen lernen. Aber die Balkone da unten sind zu weit weg für Zurufe. Und auf der Strasse sehe ich die beiden nie. So versuche ich bei meiner Betrachtung des Sonnenuntergangs wenigstens die Mundwinkel nicht hängen zu lassen.

Und weil es hier so schön ist, ehren wir heute einheimisches Musikschaffen. Tolle Band!

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